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Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)

Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)

Titel: Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
Autoren: Bertrand Russell
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und westliche Wissenschaftler, die politisch mit Russland sympathisieren, pflegen diese Sympathie durch einen Gebrauch des Begriffs der Kontradiktion zum Ausdruck zu bringen, den kein ordentlicher Logiker billigen kann.
    Wenn wir bei einem Mann wie Hegel den Zusammenhängen zwischen Politik und Metaphysik nachgehen, müssen wir uns mit einigen sehr allgemeinen Zügen seines praktischen Programms zufrieden geben. Dass Hegel Preußen glorifizierte, war gewissermaßen ein Zufall; in seinen jüngeren Jahren hatte er Napoleon glühend verehrt, und erst mit seiner Anstellung als preußischer Staatsbeamter wurde er zum deutschen Patrioten. Noch in der letzten Fassung seiner »Philosophie der Geschichte« bezeichnet er Alexander, Cäsar und Napoleon als Männer, die auf Grund ihrer Größe berechtigt seien, sich von den Verpflichtungen der Moralgesetze ausgenommen zu fühlen. Wenn ihn seine Philosophie zu einem Bewunderer Deutschlands machte, so nicht, weil es im Gegensatz zu Frankreich stand, sondern weil es in seinen Augen Ordnung, Systematik, Reibungslosigkeit und Wirksamkeit der obrigkeitlichen Kontrolle verkörperte. Seine Vergottung des Staates wäre, wenn es sich um das despotische Regime Napoleons gehandelt hätte, ebenso abstoßend gewesen. Seiner eigenen Ansicht nach wusste er, woran es der Welt fehlte, obgleich es die meisten Menschen nicht wussten: eine starke Regierung kann, was eine Demokratie niemals fertig bringt, die Menschen zwingen, für das allgemeine Beste zu handeln. Heraklit, dem Hegel zutiefst verpflichtet war, hat einmal gesagt: »Alles Vieh wird mit Schlägen auf die Weide getrieben.« Lasst uns also auf jeden Fall für die Schläge sorgen; ob sie zur Weide führen, ist nicht so wichtig, ausgenommen natürlich für die Tiere selbst.
    Es ist klar, dass ein autokratisches System, so wie es von Hegel oder den heutigen Schülern von Marx befürwortet wird, theoretisch nur auf der Basis eines unbestreitbaren Dogmas zu rechtfertigen ist. Wenn man zu wissen meint, welche Zwecke das Universum in Bezug auf das menschliche Leben verfolgt, was mit Sicherheit geschehen wird und was für die Menschen gut ist, selbst wenn sie selbst anderer Meinung sind; wenn man wie Hegel sagen kann, dass die eigene Geschichtstheorie als ein Ergebnis nur einem selbst bekannt sei, weil man das ganze Feld durchmessen habe – dann wird man auch davon überzeugt sein, dass kein Grad des Zwanges zu groß ist, wenn er zum rechten Ziele führt.
    Die einzige Philosophie, die in ihrer ganzen geistigen Haltung eine theoretische Rechtfertigung der Demokratie bietet, ist der Empirismus. Locke, der in der Philosophie der Neuzeit als Begründer des Empirismus gelten kann, macht uns deutlich, wie eng diese Lehre mit seinen Ansichten über Freiheit und Toleranz und seiner Opposition gegen die absolute Monarchie verknüpft ist. Er wurde nie müde, die Ungewissheit des größten Teiles unseres Wissens zu betonen, doch nicht aus dem Skeptizismus eines Hume, sondern um die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass sie Unrecht haben könnten und dass sie diese Möglichkeit im Umgang mit anderen, deren Ansichten mit ihren eigenen nicht übereinstimmen, immer in Rechnung stellen sollten. Er hatte die üblen Folgen beobachtet, die sowohl aus dem »Enthusiasmus« der Presbyterianer wie aus dem Dogma vom göttlichen Recht der Könige entstanden waren; beiden stellte er eine politische Lehre gegenüber, die sich aus lauter einzelnen zusammengeflickten Bestandteilen zusammensetzte und sich in jedem einzelnen Punkt durch ihren Erfolg in der Praxis bewähren sollte.
    Der politische Liberalismus – im weitesten Sinne des Wortes —ist ein Ergebnis des Handels. Das erste Beispiel dafür boten die ionischen Städte in Kleinasien, die vom Handel mit Ägypten und Lydien lebten. Als sich Athen zur Zeit des Perikles in eine Handelsstadt verwandelte, wurden die Athener zu Liberalen. Nach einer langen Pause lebten dann liberale Ideen in den lombardischen Städten des Mittelalters wieder auf und herrschten in Italien vor, bis sie im sechzehnten Jahrhundert von den Spaniern ausgetilgt wurden. Die Rückeroberung Hollands oder die Niederwerfung Englands misslang jedoch den Spaniern, und gerade diese Länder wurden im siebzehnten Jahrhundert zugleich zu Hochburgen des Liberalismus und zu führenden Handelsstaaten. Heute ist diese Rolle den Vereinigten Staaten von Nordamerika zugefallen.
    Die Gründe für die Verknüpfung von Handel und Liberalismus liegen auf der Hand.
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