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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer
Autoren: Claudia Puhlfürst
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besaß.
    Er ging um die Sitzgruppe herum zur Bücherwand, erfasste erst im letzten Augenblick den flachen schwarzen Kasten, der auf der Glasplatte des Couchtischs lag, dachte kurz das Wort »Laptop« und vergaß es im selben Moment, in dem seine Augen die Buchtitel entlangglitten. Gartenbau und Pflanzenkunde.
Obstgehölze, Bücher über alte Rosensorten und biologische Schädlingsbekämpfung, Hecken und Sträucher, einjährige Stauden. Lauter harmlose, sympathische Titel. Zu sympathisch.
    Durch jahrelange Erfahrung geschult, griffen seine Finger wie automatisch nach den Wälzern, zogen ein paar heraus, und er spähte dahinter. Was er sah, ließ ihn mit einem scharfen Zischen die Luft einsaugen. Dumpf polternd landete der Stapel Gartenbücher auf dem Parkett.
    Blaue Schrift auf grauem Hintergrund. En Bach von Michael Farin und Hans Schmid. Der Mann auf dem Titelfoto hatte ein narbiges Gesicht. Mit der Baseballkappe und dem Arbeitshemd wirkte er wie ein etwas zurückgebliebener Bauernsohn.
    Mark kannte ihn natürlich. Oder besser, er kannte ihn nicht persönlich, aber den Fall, die unsäglichen Taten, seine psychologischen Abnormitäten, all die abscheulichen Objekte, die man bei der Durchsuchung des abgelegenen Gehöfts gefunden hatte. »Edward Theodore Gein. Der Metzger von Plainfield«. Der Falter schien die gemurmelten Worte gehört zu haben. Er flatterte jetzt stärker, angstvoll.
    Mark sah sich, das Bach in der Hand, um und bemerkte erst jetzt, dass Jo fehlte.
     
    In der nächsten Sekunde überschlugen sich die Ereignisse. Aus der Küche gellte ein Schrei. In Marks Kopf flackerte die Unterschrift unter den Täterbriefen wie eine verrückt gewordene Neonreklame: D. G. Eine . Aber ehe er weiterdenken konnte, kam Jo hereingestürzt, taumelte, stammelte etwas, hielt sich dann die Hand vor den Mund und würgte. Im nächsten Moment rannte er auf die Terrasse, und Mark konnte hören, wie er sich über das Geländer erbrach.

    Gleich darauf kam er wieder herein, wischte sich mit einem Tempotaschentuch den Mund ab und presste das Wort »Kühlschrank« heraus. Den immer noch würgenden Fotografen im Schlepptau, hetzte Mark in die Küche, erfasste mit einem Blick die noch immer geschlossenen Jalousien, die bieder karierte Tischdecke und das blau gepunktete Geschirr in den Wandregalen, bevor sein Blick auf die geöffnete Tür des mannshohen Kühlschranks fiel.
    Die zahlreichen Tupperdosen leuchteten im hellen Licht förmlich von innen. Im Näherkommen zeichneten sich unidentifizierbare Umrisse in dem durchsichtigen Plastik ab. Mark atmete durch den Mund. In seinem Kopf rauschte das Blut, während er sich den Behältern bis auf wenige Zentimeter näherte. In einem von ihnen schwamm etwas, das aussah wie Augen. Menschliche Augen. Mark wusste, was die Spurensicherung in den anderen Dosen finden würde. »Rühren Sie ab jetzt nichts mehr an!« Sein Befehl klang scharf. Der Fotograf nickte ergeben. Von weit her näherte sich das Jaulen einer Sirene, eine zweite folgte. Es war fünf Minuten vor halb elf.
    »Wir beide werden das Haus verlassen müssen, wenn die Spurensicherung hier ist.« Mark sah Jo in die Augen. »Die werden Stunden um Stunden brauchen, dies alles hier zu untersuchen. Und es wird einen Riesenärger geben, dass wir hier eingedrungen sind.« Wieder nickte Jo. Das Sirenengeheul kam näher. Inzwischen war bestimmt die ganze Nachbarschaft alarmiert.
    »Lara ist nicht hier.« Mark hatte den Kühlschrank zugeschlagen, die Küche verlassen und war, ohne sich umzusehen, ins Wohnzimmer marschiert. »Aber vielleicht hat er sie woanders versteckt, an einem geheimen Ort, vielleicht ist sie noch am Leben, vielleicht braucht er sie noch …« Jo öffnete
den Mund, um zu protestieren, entschied sich dagegen und schüttelte nur den Kopf.
    »Schieben Sie den Einbruch auf mich. Wir haben uns im Haus umgesehen. Erzählen Sie denen ruhig, wie es war. Die finden es sowieso heraus.« Das Gellen der Martinshörner erstarb vor der Tür. Jos Mund war noch immer offen. Mark war sich nicht sicher, ob der Mann ihm zuhörte und verstand, was er sagte, aber er hatte keine Zeit mehr. »Dann sind Sie in die Küche gegangen, weil Sie etwas zu trinken gesucht haben. Die Dinge im Kühlschrank haben Sie nicht angerührt. Und Sie haben keine Ahnung, wo ich auf einmal hin war.«
    Mit diesen Worten nahm Mark den Laptop vom Tisch, schob ihn unter den Arm und marschierte zur Terrassentür hinaus.

35
    Doctor Nex alias Martin Mühlmann trat auf das
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