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Unerwartet (German Edition)

Unerwartet (German Edition)

Titel: Unerwartet (German Edition)
Autoren: Melanie Hinz
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sollen, doch irgendwie ist es da mit uns durchgegangen. Also ..., ich war schon einmal verheiratet und ich habe eine zweijährige Tochter.“
    Verunsichert greift er nach meinen Händen und wartet auf eine Reaktion in meiner unbewegten Miene.
    „Das ist alles?“
    Meine Befürchtungen waren wesentlich farbenprächtiger, wie zum Beispiel eine Vorstrafe oder ein Windelfetisch.
    „In groben Zügen, ja. Keine weiteren Leichen im Keller.“
    Zum Glück habe ich diese Phrase schon oft genug gehört, um nicht mehr darauf zu reagieren. Auch wenn mir immer noch übel wird, lasse ich mir nichts anmerken.
    „Wenn das alles ist, dann können wir ja jetzt essen. Anschließend erzählst du mir von deinem kleinen Mädchen.“
    Nie hätte ich erwartet, dass ein Mann in seinem Alter ohne eine Vorgeschichte kommt. Es ist ja auch nicht so, als wäre ich unbelastet.
    Erleichtert stößt Jakob die Luft aus und führt mich in die Küche, wo es schon so gut nach Chili riecht, dass mir das Wasser im Mund zusammenläuft.
     
    Der Abend mit ihm zeigt mir deutlich, wie wenig man über den ersten Eindruck eines Menschen herausbekommt. Dieser Mann spricht mit einer Leidenschaft über seinen Beruf, wie ich es noch nie erlebt habe. Nach dem Abendessen haben wir uns für den Nachttisch ins Wohnzimmer zurückgezogen.
    Ich wusste vorher nicht, dass er Chirurg in der Pädiatrie ist. Zwar liebt er seinen Job im Krankenhaus, steigt aber in ein paar Wochen bei seinem Freund Paul in der Praxis ein, wo er ambulante Eingriffe vornehmen wird.
    „Hast du das gelernt?“ Er zeigt auf den Vanillecupcake in seiner Hand und nimmt einen großen Bissen von der süßen Köstlichkeit. Völlig fasziniert beobachte ich, wie er seinen kleinen Buttercremebart von der Oberlippe leckt.
    „Ich bin gelernte Bäckerin, ja. Das habe ich gerade noch hinbekommen, bevor meine Lebensplanung etwas durcheinandergewirbelt wurde.“
    „Wie sah diese Planung denn aus?“
    „Eigentlich wollte ich nach meiner Ausbildung noch eine weitere zur Konditorin machen. Meine Mutter ist zwei Tage nach meiner Abschlussprüfung gestorben. Danach hatte ich dann erst mal andere Sorgen.“
    Jakob schiebt sich den Rest vom Cupcake in den Mund und zieht mich auf seinen Schoß.
    „Was war mit deinem Vater?“, fragt er.
    Er wird es sowieso irgendwie erfahren, denn die meisten Bewohner des Hauses wissen, was damals passiert ist.
    „Du willst wirklich den ganzen Mist hören?“
    Jakob spürt, dass ich wieder von seinem Schoß rutschen möchte und hält mich umso fester.
    „Natürlich möchte ich das, aber nur wenn du es erzählen möchtest. Und nur, wenn du mir nicht abhaust.“
    Vielleicht bereue ich es bald, mich so zu öffnen, doch es ist ja nicht so, als wäre es meine Schuld, dass mein Vater den einfachen Ausweg gewählt hat.
    „Okay.“ Meine Arme um seine Schultern geschlungen, gönne ich mir seine Nähe, die er so ungewohnt großzügig gibt.
    „Mein Vater war nie die einfachste Person. Er war immer sehr in sich gekehrt. Meine Mutter war eigentlich die einzige Person, die an ihn ran kam. Ihre Brustkrebsdiagnose wurde drei Wochen nach Bens Entbindung gestellt. Sie hat sofort abgestillt und sich den ganzen Prozeduren unterzogen. Operationen, Chemo und was weiß ich noch. Ab dem Moment ist mein Vater jeden Tag mehr abgerutscht. Er hat immer schon viel getrunken, aber ich habe es nie als großes Problem betrachtet, weil er weiter seinem Job nachgegangen ist und längere Phasen ohne Alkohol hatte. Ich war erst 15 damals und vielleicht etwas naiv. Seit der Diagnose hat er sich beinahe jeden Tag betrunken und ist nur noch unregelmäßig zur Arbeit gegangen, bis er schließlich seinen Job verloren hat.“
    „Und du hast dich um Ben gekümmert“, stellt er fest.
    „Meine Mutter war kaum in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern. Ich war diejenige, die mit ihr zur Therapie gefahren ist und ihr anschließend die Haare gehalten hat, wenn sie sich die Eingeweide rausgekotzt hat. Natürlich nur, solange sie ihre Haare noch hatte.“
    Trotz der acht Jahre Abstand zu dem ganzen Drama, muss ich mich einen Moment sammeln, denn ich will wirklich nicht vor Jakob heulen.
    „Ehrlich gesagt, ich weiß bis heute nicht, wie ich es geschafft habe, in der Zeit noch meine Ausbildung zu Ende zu bringen. Ben war mit einem halben Jahr schon den ganzen Tag in der Betreuung, da niemand da war, der sich hätte kümmern können. Zwischendurch hatte meine Mutter noch Phasen, wo es ihr etwas besser ging. Da hat sie
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