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Underground

Titel: Underground
Autoren: Kat Richardson
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klingen. Ich kann durchaus egoistisch sein, aber doch nicht so sehr, dass ich eine solche Gefahr wie die vor einigen Monaten einfach ignorieren könnte. Außerdem hatte ich keine Lust, mir von Will anhören zu müssen, dass ich mehr an mich denken sollte, also wechselte ich das Thema.
    »Könntest du mir die Zweieinhalb-Kilo-Hanteln von dort drüben holen?«
    Will seufzte und stand auf, um mir zwei kleine Gummihanteln zu bringen. Ich bewunderte mal wieder sein strahlend graues Haar und seine schlaksige Figur, während er durch den Raum ging. Gleichzeitig unterdrückte ich einen genervten Seufzer. Wo früher einmal Funken zwischen uns geflogen waren, schien es jetzt nur noch Sticheleien zu geben. Leider half es nichts, dass ich seine Frustration deutlich sah und auch verstand. Sie zeigte sich in orangefarbenen und roten Zacken, die ich im Grau um ihn herum aufblitzen sehen konnte.
    Es gelang mir inzwischen nicht mehr, das Grau von mir zu schieben. Das Einzige, was ich noch tun konnte, war, es
weit genug in Schach zu halten, um zu wissen, was normale Menschen sahen und was nicht. Schließlich wollte ich nicht über reale Gegenstände stolpern, nur um unwirklichen auszuweichen. So wirkte das Fitnessstudio für mich wie ein Dampfbad, das von mehreren historischen Schichten durchzogen und von einem hellen Licht aus Neonenergie und emotionalen Funken erfüllt war. Ich achtete nicht auf den aufgedunsenen Geist, der in der Nähe der Klimmzugstangen auf mich lauerte, hatte aber auch nicht vor, das Gerät zu benutzen.
    Die Geisterwelt ließ mich nie allein und hing wie ein weiterer Schleier zwischen Will und mir. Er war so normal und ich so … nicht normal. Ich versuchte immer wieder, einige dieser Schleier zu zerreißen oder beiseitezuschieben, aber dadurch wirkte ich nur verrückt und seltsam, was uns noch mehr auseinandertrieb. Weder er noch ich waren mit der Situation glücklich, und diese Unzufriedenheit hatte zu einer solch starken Verstimmung geführt, dass Will ständig versuchte, mehr aus mir herauszubekommen, während ich mich in vorwurfsvolles Schweigen flüchtete.
    Will kehrte mit den Hanteln zurück, und ich begann langsam mit ausgestreckten Armen die Kurzhanteln seitlich zu heben. Auf diese Weise wollte ich die Muskeln meiner verletzten Schulter wieder aufbauen. Vorsichtshalber machte ich die Übung auch mit dem anderen Arm, da ich fand, dass ich auf diese Weise zumindest den Eintritt in das Fitnessstudio voll ausnutzen konnte. Diese Art von Sport war zwar nicht so praktisch und angenehm wie Jogging, aber sie schien schneller anzuschlagen – vor allem wenn ich mir die durchtrainierten Fitnessmäuse ansah, die wie Wahnsinnige neben mir übten und mich an meine sportliche Vergangenheit erinnerten.

    Vielleicht stand Will doch mehr in Kontakt mit dem Grau, als ich bisher angenommen hatte, denn er schien meine Gedanken lesen zu können. Eine Weile beobachtete er mich beim Training und meinte dann: »Wenn du so weitermachst, kannst du bald wieder anfangen, professionell zu tanzen.«
    »Zu alt«, entgegnete ich keuchend, ohne die Hanteln abzulegen.
    »Du bist zweiunddreißig.«
    Ich atmete aus und legte für einen Moment die Gewichte beiseite, um eine kurze Pause zu machen. »Für eine professionelle Tänzerin ist bereits dreißig alt. Fünfunddreißig ist uralt, und mit vierzig gehörst du quasi zu den lebenden Toten. Baryschnikow und Heines sind vielleicht noch mit Mitte fünfzig aufgetreten, aber sie haben auch bereits im Alter von neun Jahren nichts anderes mehr gemacht als tanzen. Ich habe zwar noch früher damit angefangen, aber mit vierundzwanzig aufgehört. Ich wollte nie einen Beruf daraus machen und bin das Ganze deshalb auch nicht wirklich professionell angegangen.«
    »Du könntest doch unterrichten.«
    Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. »Will, lass das bitte. Ich habe hart gearbeitet, um in meinem jetzigen Beruf gut zu werden. Mir macht das Spaß, und ich habe nicht vor, die Detektivarbeit nur wegen einiger harmloser Verletzungen und ein paar Verrückter an den Nagel zu hängen.«
    Ich griff wieder nach den Hanteln und begann von neuem. Jegliche Befriedigung, die ich durch das Training verspürt hatte, war verpufft. Will ging mir immer mehr auf die Nerven. Für mich hatte es nichts bedeutet, dass ich den Tanz hinter mir gelassen hatte. Zum Schluss hatte ich das
Tanzen sogar gehasst. Es war von Anfang an der Traum meiner Mutter gewesen, mich als Tänzerin zu sehen, und sie hatte mich von klein auf
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