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Und was, wenn ich mitkomme?

Und was, wenn ich mitkomme?

Titel: Und was, wenn ich mitkomme?
Autoren: Eva Prawitt
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altem Pflasterbelag wandern wir dicht an einer bizarren Steilküste entlang.
    Der Nachmittag neigt sich dem Abend zu, doch der Weg zieht sich endlos. Wir versuchen, gelassen zu bleiben, was mir zunehmend schwerer fällt. Denn allmählich verlassen mich meine Kräfte, und die beiden anderen werden auch immer stiller. Da, plötzlich — ich bin beinahe am Ende — ein Schild: Buen venidos — Herzlich willkommen. Ich nehme die Einladung ernst und spreche eine junge Frau an, die uns entgegenkommt. In ihrem langen Rock, ihrer langärmelige Bluse und ihrem dicken, weichen Zopf sieht sie aus, als entstamme sie einer vergangenen Zeit. »Buscamos una habitación para una noche « (Wir suchen ein Zimmer für eine Nacht), radebreche ich. Und siehe da, sie versteht mich, nickt fröhlich und führt uns zu einem Mann, der ein bisschen Englisch spricht. Er ist genau wie die junge Frau so gekleidet, als sei er dem vorigen Jahrhundert entsprungen. Er ist unglaublich freundlich und lädt uns sofort ein. Ja — es gibt Betten für uns, eine frische Dusche und Abendbrot. Nein — dies ist keine Herberge, sondern eine christliche Lebensgemeinschaft, die schlicht Gottes Gebot der Gastfreundschaft gehorcht und uns herzlich in ihrer Mitte aufnimmt. Wir sind überwältigt, und vor lauter Erschöpfung und Erleichterung kommen mir die Tränen. Dank dieser lieben Leute sind wir für heute am Ziel.
    Wir reden viel und fragen viel und lassen uns viel erzählen. Vor dem Essen hält die kleine Gemeinschaft aus ungefähr einem Dutzend Erwachsener und beinahe ebenso vielen Kindern ihre kleine Andacht auf der Dachterrasse des Gemeinschaftshauses. Sie singen und begleiten sich dabei selber auf Fidel, Gitarre und Trommel. Sie tanzen im Kreis, und trotz unserer schweren Beine reihen Doris und ich uns ein und machen mit. Nach dem Abendessen sitzen wir noch lange zusammen und reden. Für die Nacht räumt eines der Ehepaare ihr Schlafzimmer für Pit und mich. Es ist der einzige Raum einer winzigen, etwas abseits stehenden Hütte, in dem sie auf einer wackeligen Kleiderstange, in schmalen Regalen und winzigen Kommödchen ihre gesamte private Habe aufbewahren. Für Doris steht ein Bett in der Kammer einer jungen Frau zur Verfügung. Wir sind tief beeindruckt, wie diese Menschen konsequent das leben, was sie für sich als richtig erkannt haben. Wir fühlen uns reich beschenkt.

3. Tag SAN SEBASTIAN — ORIO

    Unsere Gastgeber lassen uns schlafen, obwohl ihr Tag schon um sechs Uhr begonnen hat. Wir sprengen ihren Tages-Zeitplan, aber niemand drängt uns, und so können wir in Ruhe frühstücken. Gegen halb zehn brechen wir auf. Und welch ein Wunder, meine Füße passen bequem in meine Wanderschuhe. Der geprellte Zeh hat über Nacht zu der gleichen Form zurückgefunden wie sein Gegenstück am anderen Fuß. Die Farbe der Haut um den Nagel herum schwankt zwar immer noch zwischen grün, gelb und blau, aber es tut nichts mehr weh. Ob sich wohl alle Schwierigkeiten, die sich uns auf dem Camino entgegenstellen werden, so schnell lösen lassen? Ich will es mal hoffen...
    In der Nacht hat es ziemlich stark geregnet. Das Wasser ist unter der Tür hindurch in unser Zimmer gelaufen, und wir überlegen, wie es sich hier wohl überwintern lässt. Keine angenehme Vorstellung. Am Morgen regnet es immer noch, und wir müssen unsere Regencapes über uns und unsere Rucksäcke ziehen. Erst als wir eine Stunde später San Sebastian erreichen, klart der Himmel auf.
    San Sebastian gilt als eine der schönsten Städte Europas. Mit ihren wunderschönen Jugendstilhäusern liegt sie eingebettet zwischen Bergen und Meer. Ihre drei Kilometer lange Concha-Bucht ähnelt in perfekter Weise einer Muschel, ein schöner Auftakt für unseren Jakobsweg, dessen Symbol ja auch eine Muschel ist.
    An der Strandpromenade lassen wir uns auf einer Bank nieder und knabbern Kekse und Obst, das wir in dem Bio-Laden gekauft haben, den unsere Gastgeber in San Sebastian betreiben. Es dauert nur Minuten, da werden wir von einem alten Spanier angesprochen. Vertrauensselig legt er seine Hand auf Pits Schulter und redet auf ihn ein — natürlich auf Spanisch. Er stellt Fragen, die Pit irgendwie mit Händen und Füßen beantwortet. Ich bin erstaunt, wie gut Pit ihm ohne jegliche Spanischkenntnis folgen kann, bis ich bemerke, dass die beiden sich auf ein Zwischending von Spanisch, Englisch und Gebärdensprache geeinigt haben. Plötzlich lachen alle los, nur ich nicht, denn ich habe kein Wort verstanden und muss
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