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Und was, wenn ich mitkomme?

Und was, wenn ich mitkomme?

Titel: Und was, wenn ich mitkomme?
Autoren: Eva Prawitt
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alle erzählten davon, wie schwierig dieser Weg durchzustehen sei und dass sie sich ständig fragten, warum sie diese beschwerliche Reise überhaupt auf sich genommen hätten. Wer freiwillig mehrere Hundert Kilometer an einem Stück durch die Pampa läuft, der muss wohl nicht ganz bei sich sein. Mich würde mal interessieren, warum die das dann überhaupt tun? Warum wandert einer, der sowieso nicht gerne auf den Beinen ist, quer durch Spanien?
    Klar, anstrengend waren unsere ersten paar Kilometer auch, aber das Schöne hat das Schwere bei Weitem aufgewogen. In der kurzen Zeit, die wir jetzt unterwegs sind, haben wir so viel Tolles und Beeindruckendes gesehen und erlebt, dass wir uns kaum vorstellen können, was jetzt noch kommen kann. Aber vielleicht stimmt es trotzdem, dass sich nur der auf den Weg macht, der nicht ganz bei sich ist — vielleicht, weil ihm der Camino helfen soll, wieder zu sich zu kommen. Ich selbst hätte auch nichts dagegen, mal wieder ganz bei mir zu sein, ohne Ablenkung, ohne Alltagsanforderungen, ohne Fremdbestimmung und ohne Erwartungen, die ich weder erfüllen will noch kann. Bin mal gespannt, was übrig bleibt, wenn das alles wegfällt, vielleicht bloß noch ich selbst. Mal sehen...
    Jedenfalls bin ich sehr erleichtert, an diesem Morgen in Spanien aufzuwachen. Gegen neun Uhr starten wir. Rosa, unsere hospitalera, warnt uns beim Abschied vor dem orkanartigen Wind, den der Wetterbericht vorhergesagt hat. Aber noch merken wir nichts davon. Noch strahlt die Sonne hell und heiß am Himmel. Ein gutes Stück müssen wir auf der Nationalstraße 634 wandern, bis es steil bergauf an einem Campingplatz vorbei auf eine Anhöhe geht. Unter uns liegen das Meer und die kleine Stadt Zarautz. Der Abstieg ist die Hölle. Ein Weg, der nicht mehr ist als ein glitschiger, dornenüberwucherter Pfad, führt in die Tiefe an einen karibisch weißen Sandstrand. Ich bin dankbar für meine Stöcke, mit denen ich jeden Schritt absichere, und für Pits Hände, die sich mir hilfreich entgegenstrecken. Doch weder Stöcke noch Hände können verhindern, dass, unten angekommen, mein linkes Knie nur noch Wackelpudding ist.
    Vor einigen Jahren bin ich wegen meiner lädierten Kreuzbänder am rechten Knie operiert worden. Und ich habe mich gefragt, wie dieses Knie den Weg überstehen würde. Aber das operierte macht nicht einen einzigen Mucks. Stattdessen spielt das andere verrückt. Na ja, vielleicht beruhigt es sich ja wieder. Jedenfalls ist es eine Wohltat für Füße und Gelenke, aus den Wanderschuhen herauszukommen und barfuss über den weichen, kühlen Sand zu laufen.
    Pit und Doris machen einen kleinen Schlenker durch die Straßen von Zarautz, während ich durchs Wasser platsche und Meer, Sand, Sonne und Luft genieße. Auf einer Promenade an einer berauschend schönen Steilküste entlang geht es schließlich weiter nach Geteria. Doris macht daraus Geriatrie, und wir amüsieren uns köstlich über ihren Buchstabenverdreher. Darüber vergesse ich meine Knie, und schmerzfrei kann ich café con leche am Hafen von Geteria genießen. Überhaupt lachen wir viel und sind so ausgelassen wie junge Hunde. Es ist toll, Rachel und Jean-Paul zu treffen, die in einem kleinen Straßenrestaurant ihr Mittagessen einnehmen. Wir winken uns fröhlich zu und gehen dann weiter über die Berge Richtung Zumaia, das heute unser Etappenziel ist.
    Leider geraten wir in einen heftigen Sturm — genauso, wie Rosa es uns am Morgen vorausgesagt hat. Von jetzt auf gleich gießt der Himmel wahre Sturzbäche über uns aus. Der Wind aus dem Landesinneren treibt die Wellen zurück ins Meer und beutelt Bäume und Sträucher, bis sie sich schräg legen wie Matrosen auf Landurlaub. Aber unsere Stimmung bleibt trotzdem sonnig. Gut gelaunt wehren wir uns gegen das Unwetter und kramen unsere Regencapes heraus. Sie überzuziehen ist ein echtes Kunststück, weil der Sturm uns die dünnen Plastikdinger ständig aus der Hand reißt oder darunterfährt oder sie völlig unkontrolliert hochhebt. Am Ende bleiben wir aber Sieger, und geschützt unter unseren wehenden Umhängen geht es unverdrossen weiter.
    Nach Zumaia hinein müssen wir eine steile Betonpiste hinunter. Mein Knie meldet sich wieder. Jeder Schritt ist eine Qual, und ich brauche ewig lange, bis ich unten bin — und das bei diesem Wetter! Zu allem Überfluss liegt unsere Herberge wieder ziemlich weit oben auf einem Berg. Wir müssen am Ende unserer Tour noch einmal etwa 150 m hochsteigen. Es hat zwar endlich
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