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Und morgen am Meer

Und morgen am Meer

Titel: Und morgen am Meer
Autoren: Corina Bomann
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machte ja den Reiz aus.
    Nachdem wir uns nicht nur schreiben, sondern auch hin und wieder besuchen konnten – es gab keine Diskussionen zwischen meiner Mutter und mir darüber, dass ich allein mit dem Zug fuhr –, fuhr ich in den Herbstferien nach Westberlin.
    »Immerhin bist du beinahe allein über die Grenze geflüchtet«, sagte sie dann, mit nachträglicher Sorge in der Stimme. »Da wirst du doch wohl auch mit ordentlichen Papieren nach Westberlin kommen!«
    Ein bisschen Bammel hatte ich aber schon, als ich wieder über DDR -Gebiet fuhr. In dem Buch über DDR -Flüchtlinge, das Claudius mir geliehen hatte, stand, dass hin und wieder auch Geflohene entführt wurden, um sie vor Gericht zu stellen.
    Aber so wichtig war ich der Stasi nicht. Und überhaupt hatte sie jetzt andere Sorgen.
    Dann kam der 9. November. Ich saß an meinen Hausaufgaben, als Mama plötzlich zur Tür hereinstürmte. »Die Grenze ist offen!«, rief sie. »Komm und sieh dir das an!«
    Die Nachricht schockte mich so, dass ich erst mal sitzen blieb und mich nicht von der Stelle rühren konnte.
    All der Stress und Ärger wäre nicht nötig gewesen, wenn …
    Doch woher hätten wir das wissen sollen?
    Da Claudius in seiner WG Telefon hatte, rief ich ihn gleich an, doch es ging niemand ran. Wahrscheinlich war er unter jenen, die die herüberfahrenden DDR -Bürger in Empfang nahmen. Etwas neidisch war ich jetzt schon, denn wäre ich in der DDR geblieben, hätten wir uns jetzt in den Armen liegen und feiern können. Aber das würden wir nachholen.
    Auf jeden Fall hatte sich der Wunsch Dr. Karols erfüllt. Der Osten und der Westen begannen sich allmählich wieder zu vereinen.
    Nur ein paar Tage später kam Mirko uns besuchen. Mama war furchtbar gespannt, hatte sie ihn doch zuletzt gesehen, als er fünf war. Ich hatte ihr alles über ihn erzählen müssen, aber dennoch war mir klar, dass sie ihn auf dem Bahnhof nicht erkennen würde, wenn er unter all diesen Leuten ankam.
    Und es waren Massen von Leuten!
    Selbst mir fiel es im ersten Moment schwer, ihn auszumachen.
    Doch dann sah ich ihn – ungewohnt in Jeans, Pullover und Parka. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte er eine Uniform getragen. Er blickte sich ein wenig verwirrt um, dann sah er meine Hand, die in die Höhe geschossen war, um ihm zu winken.
    »Schau mal, Mama, da ist er«, sagte ich, doch da lief Mama bereits los, direkt auf ihn zu.
    Ich hatte Mirko ein Bild von ihr geschickt, damit er nicht glaubte, auf dem Bahnhof würde ihn eine völlig Fremde anspringen.
    Doch das tat sie nicht. Kurz vor ihm blieb Mama wie angewurzelt stehen, betrachtete ihn. Dann begann ihr Rücken zu zucken. Sie weinte. Und auch Mirko stiegen die Tränen in die Augen, das konnte ich sogar von Weitem sehen. Immer, wenn er weinte, wurde sein Gesicht vorher knallrot und jetzt war es mehr als knallrot!
    Sie sahen sich weinend an, und ich hätte ihnen am liebsten zugerufen: Nun drückt euch doch! Aber darauf kamen sie allein.
    Während die Menge der ankommenden Fahrgäste um sie herumbrandete wie ein Meer aus Kleidern und Köpfen, nahmen sie sich in die Arme und hielten sich fest.
    Ich war mir sicher, dass Mama Mirko viel länger umarmte als mich, aber dafür hatte ich sie ja jetzt schon ein paar Monate länger. Da sie nicht so recht wusste, was sie sagen sollte, kam Mama auf die Idee, erst mal eine Pizza für uns zu holen, damit wir nachher nicht losmussten, wenn wir mitten im Reden waren.
    Ich vermutete, dass sie erst einmal eine Runde allein weinen wollte, um zu verarbeiten, dass sie jetzt auch ihren Sohn wiederhatte.
    Meine Trennung von Mirko hatte nun nicht so lange gedauert, aber froh war ich doch, ihn wiederzusehen.
    »Eigentlich müsste ich dir kräftig die Ohren langziehen wegen meinem Motorrad!«, brummte er, als wir uns auf der Bahnhofsbank niederließen. »Was ist dir eigentlich eingefallen, es diesem Claudius zu überlassen und damit zu türmen?«
    »Das habe ich dir doch geschrieben«, entgegnete ich, weil ich glaubte, dass er den Vorwurf ernst meinte. Hatte ihm die Stasi den Brief nicht zugestellt? Was sollten sie jetzt noch wollen, wo Mielke, Honecker und die anderen Bonzen weg waren?
    »Klar hast du das«, antwortete Mirko lächelnd. »Den Brief hab ich gekriegt. Aber ich dachte, ich frag dich noch mal selbst. Ich hab mir vor Angst fast in die Hose gemacht, als Papa angerufen und erzählt hat, du seist verschwunden.«
    »Und du hast dir nicht denken können, wohin ich gegangen bin?«
    »Doch,
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