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Und immer wieder Liebe Roman

Titel: Und immer wieder Liebe Roman
Autoren: Paola Calvetti
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die sich ihre wenigen Quadratmeter mit Unmengen an Plastikkitsch und Reispapierlampen teilt, kommt mir mit ihrem Reisigbesen entgegen und überreicht mir einen Umschlag. Nur mein Name steht darauf, in grüner Tinte, die Schrift ist gerade, die Großbuchstaben rollen sich ein wie die Turmspitzen der Sagrada Familia in Barcelona.
     
    Emma Valentini. Persönlich.

    »Den hat heute früh ein attraktiver Herr abgegeben«, murmelt Emily, als hielte sie eine Rechnung in den Händen, was nur Ärger bedeuten kann.
    Ein Gentleman, ganz klar. Heutzutage nimmt man elfenbeinfarben gefütterte Briefumschläge nur noch für die Einladung zur ersten Hochzeit. Für die zweite und dritte ruft man bestenfalls noch an und macht nicht einmal mehr eine Geschenkeliste. Ich öffne den Umschlag. Wer auch immer der attraktive Herr sein mag, er muss mich gut kennen.
     
     
    Mailand, den 12. April 2001
Grand Hotel et de Milan
Via Manzoni 29
     
    Liebe Emma,
    während ich das hier schreibe, denke ich an Deine Hände und preise den Erfinder der elektrischen Rollläden. Ich stelle mir vor, wie Du meinen Brief öffnest und »mit immer noch tränenfeuchten Augen und umfangen von der unsichtbaren Hülle der Melancholie« Dein Reich betrittst (diesen einfältigen Satz habe ich wortgetreu aus einem Roman abgeschrieben, den irgendjemand hier im Hotelzimmer vergessen hat). Ich lasse mir Zeit, aber bereits als Kind kam ich immer schon am Anfang der Schulaufsätze ins Schwadronieren. »Du hast dich nicht hinreichend an das Thema gehalten«, lautete das Urteil über mein Gestammel. Vielleicht habe ich mich für Architektur entschieden, um zum Punkt zu kommen. Es war ein wunderschöner Abend. Ich wollte Dich anrufen, aber es ist zu spät. Seit Tagen bin ich nun schon in Mailand und habe mich bei niemandem gemeldet. Ich habe keine Lust auf Freunde, Familien von Freunden, erwachsene Kinder von Freunden. Ich möchte mich nicht als Gast fühlen, auch wenn sie
alle sauer sein werden, allen voran Enrico, der Exklusivrechte auf mich beansprucht. Ich rufe ihn nicht an, weil ich mir wie ein Idiot vorkommen würde, wenn ich ihm nicht erzählte, dass ich Dich wiedergesehen habe. Ich hätte gedacht, Heimatgefühle zu entwickeln, aber Fehlanzeige. Mailand ist ein großer Rummelplatz. Mit all diesen Sofas, Möbeln, Lampen, Tischchen, Festen, Cocktailempfängen, Eröffnungsfeiern zu jeder Tages- und Nachtzeit hat es nichts mehr mit mir zu tun. Neulich war ich in der Gegend der Via Tortona, wo die alten Fabrikhallen des Ansaldo dem Viertel das Flair einer internationalen Stadt verleihen sollen. Das Kino in der Via Torino, wo wir uns morgens versteckt haben, gibt es nicht mehr, dafür reihen sich dort lauter ununterscheidbare Geschäfte aneinander: All die Mokassins mit ihren Troddeln, die Cowboystiefel und Unterhosen sind nichts als gehobene Pornographie. Vor den rumpelnden Straßenbahnen bin ich geflüchtet – wie kann etwas nur so laut sein? – und bin in Richtung Piazza Sant’Alessandro gegangen. Der Himmel hing schwer wie ein Metallgitter herab und hat die Fassade der Basilika von 1601, dieses großartigen Barockjuwels, in Schatten getaucht. Vier alte Frauen mit wolkenartig aufgebauschter Haartracht humpelten die Granitstufen hoch. Die kleinste von ihnen hat versehentlich meinen Ärmel gestreift, und plötzlich hatte ich den vertrauten Geruch von Kampfer und Puder in der Nase. Ich musste darüber nachdenken, wie meine Mutter wohl geworden wäre. Runzlige Alte scheinen sich einig zu sein, was Perlenketten angeht. Auch diese trug eine über ihrer fliederfarbenen oder bläulichen Strickjacke, dazu eine Brosche am Kragen und eine festliche Kopfbedeckung. Ich bin ihr in die dunkle Kirche gefolgt, bis in die erste Reihe. Unzählige Votivkerzen brannten in unermüdlichem Gebet. Ich habe eine Banknote in den Opferstock geworfen und mit Hilfe eines Kerzenstummels eine angezündet. Um mich herum erhob
sich der Gesang von Menschen, deren Glaube schon ein Weile Bestand hat. Ich wäre gern geblieben, aber als der Priester einzog, musste ich einfach verschwinden. Aus einem konditionierten Reflex heraus deutete ich sogar eine Kniebeuge an. Es ist nämlich so, dass ich nicht mit Gott sprechen kann, und das macht mir Angst. Es erzeugt ein vages Schuldgefühl in mir, als würde ich nicht alles versuchen, nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen. Auf dem düsteren Platz ist mir ein Laden ins Auge gefallen. Er schien einer Postkarte aus viktorianischen Zeiten entsprungen, und das
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