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Und die Ratte lacht - Roman

Und die Ratte lacht - Roman

Titel: Und die Ratte lacht - Roman
Autoren: Persona Verlag
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zur Krypta hinunter und lege einen kleinen Stein nieder. Drehe ihn ins Licht. Der Stein nimmt das Licht auf wie ein Stern. Wenn wir das Licht sehen, ist der Stern schon tot. Doch die Erinnerung leuchtet weiter.
    Ich bin Träger der Erinnerung. Ich stelle dir meine Erinnerung zur Verfügung, weil du das Kreuz nicht allein tragen kannst.
    »Denn wir wurden im Verborgenen gemacht.«
    Ein Psalm für die Kinder Davids.
14. Oktober 1944
    Das Echo der Schüsse kommt näher. Ich sehe, dass sich zwischen den Büschen am Waldrand etwas bewegt. Der Wind trägt den Kanonendonner zu uns. In der Dämmerung fahren die Panzer der Roten Armee auf den Marktplatz. Die Dorfbewohner sind unterwürfig, sie bieten den Soldaten Wodka und Schweinswürste an. Der Sohn der Bauern fährt auf dem ersten Panzer, und die Soldaten schlagen ihm auf die Schulter und füllen seine Taschen mit Zigaretten. Am Abend höre ich, dass es unter ihnen einen jüdischen Offizier gibt. Er ist den ganzen Tag von Haus zu Haus gegangen und hat gefragt, ob es Juden bei uns gibt. Und auch als sie ihm ins Gesicht lachten und sagten, die sind alle tot, gab er nicht auf.
    Ich suchte ihn, sogar in der Wirtschaft. Er weigerte sich, die Kirche zu betreten, als stelle ich ihm eine Falle. Plötzlich fielen mir zwei Worte auf Hebräisch ein. Ich weiß nicht, wie es geschah.
    Schema Jisrael. Höre Israel.
    Der jüdische Offizier ging mit mir bis zum Hof und wartete am Tor.
    Ich führte das Mädchen zu ihm.
    Hab keine Angst. Dieser Mann ist dein Bruder.
    Sie klammerte sich an den Zipfel meiner Soutane. Begann an mir zu reißen.
    Schick ihn weg, schrie sie.
    Der Offizier legte die Hand an sein Gewehr und wollte gehen.
    Ich kniete vor ihr nieder.
    Auch ich bin ein Jude, sagte ich zu ihr.
    Für immer und ewig werde ich ein Jude sein.
    Sie küsste wild das Kreuz, das sie um den Hals trug. Ich nahm meines ab und legte es auf die Erde.
    Der Offizier begann, zu ihr in der Sprache der Juden zu sprechen, aber sie reagierte nicht. Er zog ein Bonbon aus seiner Uniformtasche. Ihr Körper wurde starr, wie an jenem Tag, als ich sie annahm. Zu ihren Füßen bedeckte ich mein Gesicht mit Erde. Ich rieb meine Nase am Bonbon, dann leckte ich sie ab. Süße Erde.
    Zögernd berührte sie das Bonbon, mit flatternden Fingern, zog die Hand zurück.
    Nun ging der jüdische Offizier in die Knie, kauerte sich vor sie.
    Wem gehörst du? Wie heißt du? Jetzt darfst du es sagen.
    Als er ihr versprach, ihre Eltern zu suchen, drehte sie sich um und rannte in die Kirche.
    Ich erhob mich, meine Soutane bildete eine Wolke. Ich sagte zu ihm: Den Rittern des Heiligen Grals war es verboten, ihren Namen und ihre Herkunft zu sagen.
    Der Offizier sagte: Die Zionisten suchen jetzt die Waisenhäuser ab. Gib ihnen das Mädchen.
1. November 1944
    Allerheiligen
    Ich zündete die Kerzen in der Kirche an. Die Schatten huschen aus allen Richtungen, und die Heiligen blicken mich mit düsteren Augen an. Vielleicht habe ich sie mit meiner Verzweiflung angesteckt. Wie viele Kinder kommen jetzt zum Vorschein aus Löchern und Kellern, aus Schränken, Kisten und Nischen?
    Wer wird in diesem Licht, das kein Licht ist, auf sie warten?
    Ich wünschte, ich wäre der letzte Sünder.
    Mein Zweifel ist groß.
2. November 1944
    Allerseelen
    Die ganze Nacht flehte sie mich an, sie zu taufen. Sie schwor mir, alles zu tun, ich solle sie nur nicht wegschicken.
    Mein Vater, gib mir die Kraft, den Schmerz, den ich ihr zufüge, auszuhalten. Die Tränen, auf die ich so lange gewartet habe, fließen jetzt. Sie warf sich mir zu Füßen, ihr kleiner Körper krümmte sich. Sie schlug mich mit den Fäusten. Sie wolle die Kommunion, jammerte sie, sie wolle Brot und Wein. Als kleine, weiß gekleidete Braut zum Alter schreiten. Eine Nonne wolle sie sein. Ich legte die Arme um sie. Wenn ich nur mit ihr tauschen könnte. Ihre heißen Tränen fallen auf mich.
    Am Ende stieg sie in das Taufbecken.
    Ich sagte, das Untertauchen nütze nichts, denn mein Glaube würde niemanden mit Gewalt zwingen. Ein Kind würde nur mit Einverständnis seiner Eltern getauft.
    Sie schrie, aber sie haben es mir versprochen.
    Sie zerriss den Rosenkranz und die Perlen rollten über den Kirchenboden.
    Erzwungene Taufe. So nennen die Juden ihre geistige Vernichtung. Das hat der Offizier gesagt. Wie kann ich dem Mädchen erklären, dass es keine Sühne für uns gibt, wenn ich zulasse, dass sie ihr Volk verleugnet?
    Die Perlen sind überall verstreut. Ich krieche herum und verletze
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