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Und die Ratte lacht - Roman

Und die Ratte lacht - Roman

Titel: Und die Ratte lacht - Roman
Autoren: Persona Verlag
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Erinnerungen auf die Welt? Ein Erbe, das das Wissen mit Nägeln in uns schlägt?
    Doch hätte das Mädchen von vornherein gewusst, was sie erwartet, hätte sie sich geweigert, geboren zu werden.
    Die Kerze zünde ich erst an, wenn sie eingeschlafen ist. Jeden Abend betrachte ich prüfend ihren Mund, ob er vielleicht schon ein Lächeln zeigt.
3. August 1944
    Und trotzdem werde ich ruhig.
    Ich, der ich nie davon geträumt habe, ein Kind zu wiegen oder es ins Reich der ruhigen Träume zu geleiten, erlebe jetzt eine Offenbarung. Ihre Hand berührt meine, und ich empfinde Glück. Sie murmelt etwas im Schlaf. Ist das ein heilender Traum oder ein Albtraum? Ich senke den Kopf und lausche, bereit, den Schrecken zu durchbrechen und sie zurückzuholen.
    Mama.
    Und noch einmal, Mama.
    Vergib mir nicht, mein Vater, denn wenn ich in ihrem Traum die Mutter bin, dann bin ich das glücklichste Geschöpf auf deiner Welt. Trotz all deiner Anstrengungen hast du es nicht geschafft, mir diese Erfahrung vorzuenthalten. Ich danke dir, mein Vater. Und ich nenne dich nun voller Andacht bei deinem Namen.
10. August 1944
    Gedenktag des heiligen Laurentius
    In den frühen Morgenstunden fingen die Flugzeuge an, über uns hinwegzufliegen. Die Bomben fielen so nah bei uns, dass die Erde und die Wände der Kirche zu zittern begannen. Die Bäume am Waldrand stöhnten laut, als sie umstürzten. Wir drückten uns in die Nische und das Mädchen zog sich sofort in sich selbst zurück. Der Gestank nach Brand und Asche drang zu uns herein.
    Ich möchte leben. Erst jetzt verstehe ich, wie groß mein Wunsch ist.
    An diesem Tag hätten die Bauern mit der Ernte beginnen sollen. Statt der Ähren ernten sie Tod. Ein sündiger Priester wie ich – ich freue mich angesichts der Toten, die nicht den Trost der letzten Ölung empfingen.
    Bis zum Ende der Nacht kauerten wir in der Nische und ich versuchte, sie abzulenken. Den ganzen Tag lang wartete ich auf bitteres Schluchzen, aber die Tränen sind in ihr verschlossen.
    Als die Erde fest wurde, zeigte sich an der Nischenwand ein Bild des Jüngsten Gerichts, mit Kohle gezeichnet. Die Hand Gottes greift unter den Tisch, zeigt dem Erzengel Michael die Waage. Über ihnen thront die Mutter Gottes und hält eine Ratte auf dem Schoß.
11. August 1944
    Nachdem sie ihre Toten begraben und die Trümmer weggeräumt hatten, eilten die Bauern in die Kirche. Helfen Sie uns, Pater Stanislaw, trösten Sie uns. Das ist Ihre Aufgabe.
    Noch eine Forderung, die ich nicht erfüllte.
15. August 1944
    Mariä Himmelfahrt
    Morgen.
    Das Korn ist golden geworden. In der Nacht bewegt es sich im Wind, als habe es seinen eigenen Willen. Bei Sonnenaufgang geht die Frau mit ihrem Kind hinaus aufs Feld, wiegt es lange und entblößt dann eine Brust. Der Schnitter hat schon ein Stück Land abgeerntet und wendet sich nun dem nächsten zu. Als die beiden sich einander nähern, achten sie darauf, nicht auf das Gras in den Furchen zwischen den Feldern zu treten, weil sich dort die bösen Geister eingenistet haben.
    Eine Welt ohne Sünder.
    Eine Welt ohne Juden.
    Ihr Lachen fliegt über die Halme. Der Schnitter beugt sich zu der Frau. Sie legt das Kind neben sich auf den Boden und versinkt in die Welle aus Gold. Eine Kuh schlägt mit dem Schwanz nach ihren Köpfen. Sie sind so tief in ihre Lust versunken, dass sie das Weinen des Säuglings nicht hören.
    Nacht
    Sie brachten die erste geerntete Garbe in die Kirche, und ich segnete sie, ich ging an ihnen vorbei, das Weihrauchgefäß in der Hand. Sie riechen daran, und ich wünsche ihnen, dass meine Verzweiflung auf sie übergeht.
    Je leerer ich werde, umso voller wird mein Tagebuch. Hätte ich diese Predigten alle halten können, hätte sich dann irgendetwas geändert? Ich schreibe sie nur auf, um mein Gewissen zu beruhigen.
    Gewissen. Ein Körperteil, den man ausreißen kann.
    Und es gibt keinen künstlichen Ersatz.
    Vielleicht wird einmal ein anderer Mensch diese Predigten halten. Einer, der würdiger ist als ich.
18. August 1944
    Die ganze Woche lang mühten sich alle Frauen des Dorfs, einen riesigen Hochzeitskuchen zu backen. Die Frau des Bauern hatte alle deutschen Offiziere zur Feier eingeladen. Eigenhändig kneteten die Frauen einen Teig ohne Salz, als Omen für ein süßes Eheleben. Oben auf dem Kuchen befestigten sie Gebäck, geformt wie Sonne und Mond.
    Ich verschließe alle Fenster und Türen der Kirche, damit der Duft nicht hereindringt.
20. August 1944
    Ich habe meine Pflicht erfüllt. Mein
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