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Und die Ratte lacht - Roman

Und die Ratte lacht - Roman

Titel: Und die Ratte lacht - Roman
Autoren: Persona Verlag
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derselben Bewegung säen, wie ich das Weihwasser versprengt habe.
    Heute habe ich den nachgeborenen Sohn von Zbyszek, dem Schmied, getauft. Er ist zwar an einem Sonntag geboren, aber er konnte an keinem Sonntag getauft werden, sonst würde er sein Leben lang voraussehen, wann der Tod kommen würde, um sein Opfer zu holen.
    Als sie die Kirche verließen, sangen die Festgäste: »Wir kamen zur Kirche mit einem kleinen Juden, wir verlassen sie mit einem Engel.«
    Was ist los mit Ihnen, Pater Stanislaw? Kommen Sie, freuen Sie sich mit uns. Seit der Engel Maria verkündet hat, dass der Heilige Geist sie geschwängert hat, gab es solch eine Verkündigung nicht mehr. Mit eigenen Augen habe ich gesehen, wie die Juden in Viehwaggons zu ihrem Tod gefahren wurden. Ein Freudenfest im Himmel.
    Zoscha, die Wirtin, nennt Zbyszek, den Schmied, einen Angeber und sagt, er trinke zuviel Wodka.
    Ich gehe in die leere Kirche zurück.
    Was siehst du, Stasch? Was sehen die Menschen, die von Geburt an blind sind?
    Christus und Maria ziehen ihre Kleider aus, stellen sich mit allen anderen auf und warten, bis sie an der Reihe sind.
    Ich schreibe in den Sand »König und Königin der Juden«. Am Morgen wischt das Mädchen die Worte mit seinen Sprüngen weg.
4. Juni 1944
    Pfingsten ist vorbei, und schon kommt das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit. Je kürzer die Nächte werden, umso besorgter wird sie. Sie scheint sich nur in der Dunkelheit sicher zu fühlen. Ich erzähle ihr von den Lichtern, die am vierten Tag erschaffen wurden. Schau doch, das Licht der Sterne. Es legt einen weiten Weg zurück, und jetzt ist es bei uns.
    Sie hält sich die Augen zu.
    Wäre ich du, mein Vater, würde ich alle Sterne für sie löschen.
8. Juni 1944
    Fronleichnam
    Wir rollen uns über den Boden, Staub steigt auf. Sie streichelt meine Soutane, als wäre sie ein Rattenfell.
    Stasch, du bist die beste Ratte der Welt.
    Es ist mein Körper, der zusammenzuckt. Mein Bauch krümmt sich. Mein Mund geht auf.
    Sie erschrickt, zieht sich sofort in die Nische zurück.
    Was machst du für Geräusche, Stasch?
    Ich lache, Mädchen.
    Sie fragt: Was ist das, Lachen?
    Dann bittet sie: Bring es mir bei.
24. Juni 1944
    Gedenktag Johannes des Täufers
    Es wird Hochsommer. Die Erde wird durchsichtig und enthüllt die Fülle, die sich in ihren Tiefen verbirgt. So sagte es meine Großmutter. Ich wagte nicht zu fragen, wo meine Mutter sei. Die alte Frau erzählte mir auch von der seltenen Blume, die irgendwo in den Bergen wuchs und von bösen Geistern beschützt wurde. Wer es schaffe, sie zu pflücken, würde sein Glück machen. Ich sprengte Weihwasser über die mit Kränzen aus Luzerne geschmückten Ziegen und die Gänse mit Kränzen aus Gänseblümchen um den Hals.
    Mädchen, auch die Sonne wird heute im Fluss baden. Sie eilt über den Himmel zu Ehren der Geburt von Johannes dem Täufer. Die jungen Mädchen des Dorfes tanzen und singen: »Spiel mit uns, wir sind deine kleinen Sonnen.« Bei Sonnenuntergang laufen sie los und pflücken Kamillenblüten zur Herstellung von Medizin.
    In allen Kuhställen hängen diese Nacht Büschel von Wermut, ein Mittel gegen Hexen, die sich auf kahlen Bergen sammeln und planen, die Milch der Kühe zu stehlen.
    Was ich sehe, erzähle ich ihr. Dort ist die Welt, und hier sind wir.
25. Juni 1944
    So wie du vorsichtig bist, uns zu offenbaren, wer du bist, achte auch ich darauf, ihre Erinnerung nicht für die Zukunft zu zerstören. Alte Leute müssen auf die Worte achten, die sie sagen. Denn aus den erdichteten Worten, die über ihre Lippen kommen, entsteht das Bewusstsein der neuen Generation. Die Spreu, die aufgedeckt wird, wenn ich in meinem Gedächtnis wühle, schreibe ich schnell nieder, damit ich nicht dazu verführt werde, sie weiterzugeben. Einer Frau wurde der Sohn von einer Hexe gegen einen Wechselbalg eingetauscht. Die Frau legte den Wechselbalg auf ihre Türschwelle, nahm einen Stock und schlug aus aller Kraft auf ihn ein. Das Weinen des Kindes drang über die kahlen Berge. Seine Mutter, die Hexe, wurde alarmiert und rief: »Gib mir mein Kind zurück und ich gebe dir deines.« Das ist ein Gedanke für dich, mein Vater. Sogar die Hexen lieben ihre Kinder.
    Ich brach in Lachen aus.
    Das Mädchen versucht, es mir nachzutun. Sie krümmt sich, wirft sich hin und her, aber was aus ihr herauskommt, ist etwas zwischen Gurgeln und Zwitschern.
    Warum kann ich das nicht, Stasch?
    Was mache ich falsch, Stasch?
    Sag es mir, Stasch.
    Du hast es mir versprochen,
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