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Und die Großen lässt man laufen

Und die Großen lässt man laufen

Titel: Und die Großen lässt man laufen
Autoren: Per Wahlöö Maj Sjöwall
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und auch er sah sich nicht um.
    Er ging an der Hammondorgel, dem Flügel und dem Anrichtetisch mit seinen spiegelblanken, glitzernden Gerätschaften vorbei und setzte seinen Weg fort an den beiden Pfeilern vorbei, die die Decke trugen. Noch immer genauso zielbewußt steuerte er direkt auf die Gesellschaft in der Ecke zu. Der Gastgeber stand immer noch vor seinem Platz und redete. Dem näher kommenden Mann wandte er den Rücken zu. Als der Unbekannte noch etwa fünf Schritt vom Tisch entfernt war, steckte er die rechte Hand ins Jackett. Eine der Frauen am Tisch blickte ihn an, und der Redner wandte kurz den Kopf, um zu sehen, was sie abgelenkt hatte. Er streifte den sich nähernden Mann mit einem schnellen, gleichgültigen Blick und wandte sich dann sofort wieder seinen Gästen zu, ohne auch nur eine Sekunde seinen Redefluß zu unterbrechen. In diesem Augenblick zog der Neuankömmling einen stahlblauen Gegenstand mit geriffeltem Kolben und langem Lauf hervor, zielte sorgfältig und schoß dem Redner in den Kopf. Der Knall war nicht einmal schockierend laut, er klang eher wie das friedliche »Paff« eines Gewehrs, wie man es auf den Schießständen von Rummelplätzen hören kann.
    Die Kugel drang dicht hinter dem linken Ohr ein, und der Redner stürzte kopfüber auf die Tischplatte. Die linke Wange landete in dem kunstvoll garnierten Kartoffelbrei, der einen vorzüglichen gedünsteten Fisch a la Frans Suell umgab.
    Der Schütze steckte die Waffe ein, machte eine scharfe Rechtswendung, war mit wenigen Schritten am nächstliegenden Fenster, setzte den linken Fuß aufs Fensterbrett, schwang sich über die heruntergekurbelte Glasscheibe, trat in den Blumenkasten, der vor dem Fenster hing, sprang auf den Bürgersteig und verschwand. Ein Gast von etwa fünfzig Jahren, der drei Fenstertische weiter saß und gerade sein Whiskyglas zum Mund führen wollte, hielt verblüfft mitten in der Bewegung inne. Vor sich hatte er ein Buch, in dem er nicht gelesen, sondern nur zum Schein geblättert hatte.
    Der Mann mit dem sonnengebräunten Gesicht und dem Anzug aus dunkelblauer Shantungseide war nicht tot. Er bewegte sich und sagte: »Au. Tut weh.«
    Tote pflegen sich nicht zu beklagen. Im übrigen schien dieser Mann nicht einmal zu bluten.

2
    Per Mänsson saß in seiner Junggesellenbude in der Regementsgatan und telefonierte mit seiner Frau. Er war Kriminalinspektor bei der Polizei in Malmö, und obwohl er verheiratet war, lebte er an fünf Tagen der Woche als Junggeselle. Jedes freie Wochenende verbrachte er mit seiner Frau. Zu diesem Arrangement hatten sie sich vor mehr als zehn Jahren entschlossen, und bisher waren beide damit zufrieden gewesen. Mänsson klemmte den Hörer mit der linken Schulter fest, während er mit der rechten Hand einen Greifenberger mixte. Dies war sein Lieblingsgetränk und bestand ganz einfach aus rund acht Zehntellitern Gin, Eisstückchen und Grape-Tonic in einem großen Tumbler.
    Seine Frau hatte sich Vom Winde verweht im Kino angesehen und wiederholte ihm den Inhalt. Das dauerte, aber Mänsson hörte geduldig zu. Er beabsichtigte nämlich, ihren bevorstehenden Wochenendbesuch unter dem Vorwand zu verhindern, daß er arbeiten müsse. Was eine Lüge war.
    Es war zwanzig nach neun Uhr abends.
    Mänsson schwitzte trotz seiner leichten Bekleidung - Netzhemd und karierte Unterhose. Zu Beginn des Telefongesprächs hatte er wegen des heraufdringenden Verkehrslärms die Balkontür geschlossen; obwohl die Sonne längst hinter den gegenüberliegenden Dächern untergegangen war, war es sehr warm im Zimmer.
    Er rührte seinen Longdrink mit einer Gabel um, die er - wie er sich zu seiner Schande eingestehen mußte - gestohlen beziehungsweise rein zufällig aus einem Restaurant mit Namen Översten mitgenommen hatte. War es überhaupt möglich, eine Gabel rein zufällig mitgehen zu lassen? Dachte Mänsson und sagte: »Ja, ja, ich verstehe. Es war also Leslie Howard, der… Aha, der nicht? Clark Gable? Ach so…«
    Fünf Minuten später war seine Frau mit ihrem Bericht fertig, so daß Mänsson seine Lüge auftischen konnte, ohne dabei rot zu werden. Dann legte er den Hörer auf.
    Sofort darauf klingelte es wieder. Mänsson hob nicht gleich den Hörer ab. Er hatte dienstfrei, und das sollte auch so bleiben. Er leerte langsam seinen Greifenberger und betrachtete den dunkler werdenden Abendhimmel, bis er sich endlich entschloß, den Hörer von der Gabel zu nehmen. »Ja, Mänsson.«
    »Hej. Nilsson. Mensch, das war ja ein
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