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Und die Goetter schweigen

Und die Goetter schweigen

Titel: Und die Goetter schweigen
Autoren: Anna Janson
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Großmutter. Disa hatte es erst lange nach der Beerdigung zufällig erfahren. »Sie hat gekriegt, was sie verdient, die alte diebische Elster«, hatte Saga gesagt.
    Disa trug das Mädchen herein. Linda weinte. Sie hatte sich nass gemacht. Der Ärmel des blauen Wollmantels wurde kalt und feucht. Disa fluchte, spürte wie die Wut sie schlagartig übermannte. »Piss-Lisa, Dreck-Disa!«, höhnte die Vergangenheit. Das kleine Mädchen war heiß wie eine Dampfsauna, es schwitzte. Angeekelt zog Disa ihr den nassen Overall aus und rollte sie in die noch eiskalte Decke. Der Overall stank nach Urin. Disa hielt sich gerade noch zurück, beinahe hätte sie das Kind geschlagen. »Piss- Lisa, hast du dich nass gemacht? Du stinkst wie ein Sack voll Mist. Gleich muss ich kotzen!«, hallten die Stimmen von damals wieder. Disa warf krachend einen Stuhl an die Wand, ging hinaus in die Kälte und holte die Sachen aus dem Auto. Lindas Weinen war durch die Wände zu hören. Weinen vor Hunger, Weinen der Verlassenheit, Weinen vor Kälte und Bitterkeit, Weinen der Erniedrigung, Disa kannte alle diese Gefühle und spürte sie tief in ihrem Bauch wie ein Muskelzucken, eine Art Krampf. Das Gefühl war in ihrem Körper, aber nur wie eine Erinnerung, unbewusst. Sie machte sich nicht länger etwas daraus, nicht mehr, seit sie zur Asin, zu War, geworden war, dem Racheengel, der denjenigen bestraft, der seinen Eid bricht. In ihrer Göttlichkeit war sie befreit worden. Der Schmerz war weg, er konnte sie nicht mehr erreichen. In Gedanken fiel Disa in den Abgrund, in das Ginnungagap selbst. Die hatten sie getreten und auf den Boden geworfen, damals vor langer Zeit in einer anderen Welt, ihr ins Gesicht gepisst. Voller Angst und erniedrigt war sie nach Hause gelaufen mit dem Geschmack von Erde im Mund. Wohin nach Hause? Noch mehr Ohrfeigen, eisige Stille, Saga, die ihren Stimmen lauschte, aber niemals Disa zuhörte. Die Stimmen befahlen Saga, alles Unreine zu verbrennen. Die Narben davon trug Disa immer noch auf ihren Armen und ihrem Rücken. »Reiß mein Auge aus, reiß es heraus, sage ich, sonst bringe ich dich um und werfe dich den Würmern zum Fraß vor.« Sie hatte es schließlich getan. Sie hatte es tatsächlich getan, damit die Mutter Weisheit erlangen konnte, wie Odin selbst, die Gabe, in die Zukunft sehen zu können.
    Vielleicht war das ihre Rettung gewesen, möglicherweise war aber damals auch etwas zerbrochen. Sie musste die Seele einer Göttin in einem geschändeten Körper tragen. Der Schmerz war nicht mehr ihr eigener, der gehörte nur noch ihrem Körper, nur noch dem Körper.
    Disa trug Schnee hinein und taute ihn in einem Topf auf. Hängte den nassen Overall an einer Leine über dem Herd auf. Das Kind greinte ununterbrochen. Es war eine große Enttäuschung. Disa hatte sich ein fröhliches Kind vorgestellt, ein lachendes kleines Wesen mit ausgestreckten Armen. Eine fröhliche Stimme, die sich an ihre Wange schmiegte, ein weiches: Mama. Sie musste das Kind zum Schweigen bringen, ehe das Adrenalin die Fingerspitzen erreichte, musste es zum Schweigen bringen, solange sie ihre Wut noch beherrschen konnte.
    Maria zitterte vor Kälte, die Zähne klapperten. Sanft, aber mit Nachdruck zwang Arvidsson sie, den Tee auszutrinken, Schluck für Schluck, half ihr, die Tasse festzuhalten, die in ihrer Hand zitterte. »Trink das, noch einen Schluck. Das wird schon werden, es wird alles gut. Trink noch etwas, so. Soll ich dich nach Hause fahren?«
    »Ich will hier bleiben. Ich muss hier bleiben, ich muss etwas tun«, klapperte Maria und warf die Decke weg, die Arvidsson gerade vorsichtig um ihre Schultern gelegt hatte. »Dusch doch erst mal heiß, damit du nicht mehr mit den Zähnen klapperst. Dann kannst du mir helfen, die Taxi- und Busfahrer zu vernehmen, die jetzt nach und nach kommen. Dir ist doch nicht schwindelig?«
    »Nein«, log Maria, »ich komm schon klar.«
    »Dann geh und nimm eine heiße Dusche. Wenn das nicht hilft, müssen wir dich vielleicht zum Arzt schicken.« Maria warf Arvidsson einen schnellen verbitterten Blick zu. Sie hatte jetzt weiß Gott keine Zeit für einen Arztbesuch.
    »Berit mietete die Wohnung also schwarz aus zweiter Hand, stimmt das?« Hartman, immer noch in dunkelgrünem Anzug mit Fliege nach dem Silvesteressen, suchte Blickkontakt zu Edith Bäckman, die unermüdlich Fusseln aus ihrer abgewetzten grauen Wolljacke zupfte. »Habe ich das richtig verstanden?«
    »Sicher«, zischte Edith durch die Zahnlücke in ihrem
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