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und der verschwiegene Verdacht

und der verschwiegene Verdacht

Titel: und der verschwiegene Verdacht
Autoren: Nancy Atherton
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paar Pfund zu viel auf den Hüften und wirkst ein wenig tantenhaft, und deine Chancen, einen anderen Mann zu finden, sind im Moment gleich null. Wir verstehen dich, und du hast unser Mitgefühl.«
    Das leise Lächeln kehrte zurück, als sie die Landkarte wieder in die unterste Schublade legte. Wäre es nicht eine tolle Überraschung, wenn sie mit einem neuen Mann aus England zurückkäme – mit einem richtigen Prachtexemplar, eins achtzig groß, blauäugig, mit breiten Schultern und …
    Emmas Traum verflüchtigte sich und ihr gesunder Menschenverstand kehrte zurück. Sie brauchte ihre Mutter nicht, um sich daran zu erinnern, dass Männer, egal welchen Alters, Frauen vorzogen, die jünger als sie selbst waren, schlanke, grazile Mädchen mit Haaren wie Sonnenschein. Rundlichen Frauen hingegen, die zudem nicht besonders hübsch waren und langsam ins mittlere Alter kamen, wurde das Tor zur großen Liebe meist vor der Nase zugeschlagen.
    Emma war stolz auf ihre Fähigkeit, den Tatsachen ins Auge zu sehen, und so bereitete sie sich entsprechend auf ihre Reise vor. Im Mai würde sie in Cornwall sein; sie würde sich die Teekuchen mit Erdbeerkonfitüre und dicker Sahne schmecken lassen, sich in den hübschen Fischerdörfern umsehen und, worauf sie sich am meisten freute, die Azaleen in voller Blüte genießen. Sie würde alles tun, was ihr Herz begehrte. Außer sich verlieben.
    »Nie wieder«, flüsterte sie und unterdrückte einen Seufzer. »Und wenn ich aus Cornwall zurückkomme, kaufe ich mir eine Hängematte für den Garten und führe das Leben einer umtriebigen alten Jungfer. Aber Liebe – nie wieder.«

    In Oxford, auf der anderen Seite des Ozeans, wischte zur gleichen Zeit Derek Harris die letzten Spuren feuchter Erde vom Grabstein seiner Frau. Er hätte es auch dem Totengräber überlassen können, aber Derek hatte lange genug mit den Händen gearbeitet und wusste, dass man etwas, das richtig gemacht werden sollte, am besten selbst tat.
    Er steckte den Lappen in die hintere Tasche seiner ausgebleichten Jeans und richtete sich auf. Er war ein großer Mann, etwas über einen Meter achtzig. Seine tiefblauen Augen waren voller Trauer, als er die Lettern las, die er in den rötlichen Marmor gemeißelt hatte. Es war etwas über fünf Jahre her, seit sie an Lungenentzündung gestorben war. Der Gedanke machte ihm das Herz so schwer, dass er Mühe hatte zu atmen.
    »Ach Mary«, flüsterte er, »du fehlst mir.«
    Die dicht verzweigten Äste der Bäume, die schon dicke Knospen trugen, hoben sich gegen den dunklen Himmel ab, und ein kalter Aprilwind pfiff um die Grabsteine. Derek erschauerte und dachte daran, dass es Zeit war, wieder nach Hause zu gehen. Peter würde inzwischen aus der Schule gekommen sein und Nell aus dem Kindergarten, und Tante Beatrice würde da sein, um nach den beiden zu sehen.
    Aber noch immer verweilte er am Grab, er hatte keine Lust auf all die Fragen, mit denen Beatrice ihn wieder überschütten würde. Sie hatte sich bereits nach seinen Plänen für das nächste Jahr er-kundigt. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wie seine süße Mary so einen Drachen als Schwester haben konnte.
    Sie hielt es für eine Schande, dass Derek seinen Universitätsabschluss in Geschichte – den er überdies in Oxford erlangt hatte – hier verschwendete, indem er sich die Hände als Restaurator schmutzig machte. Man sollte es nicht für möglich halten, dass er der Sohn eines Earls war – wie peinlich für seine Familie und was für eine Enttäuschung für die arme Mary! Alle seine Freunde von der Universität waren inzwischen respektable Männer, die meisten im Finanzwesen oder in der Politik tätig, während sich Derek mit seinen fünfundvierzig Jahren immer noch mit undichten Strohdächern, bröckeligen Steinmauern und albernen Messingplatten abplagte.
    Beatrice hatte bei dem Gedanken, dass ihre einzige Schwester in solch ungeordneten Verhältnissen lebte, ganz graue Haare bekommen.
    Und jetzt wurden ihre Haare weiß (»weiß wie frisch gefallener Schnee«), wenn sie an die armen Kinder, Peter und Nell, dachte. Hatte Derek inzwischen nicht eingesehen, dass ein Mann nicht dazu fähig war, Kinder großzuziehen? Es war unnatürlich, ungesund. (»Das geht nicht gut, du wirst dich noch an meine Worte erinnern.«) Er müsste doch einfach einsehen, dass Peter und Nell in einem ge-regelten Haushalt besser aufgehoben wären, bei einem Onkel und einer Tante, die sie liebten und nur ihr Bestes wollten. Also wirklich
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