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und der verschwiegene Verdacht

und der verschwiegene Verdacht

Titel: und der verschwiegene Verdacht
Autoren: Nancy Atherton
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Kühlschrank, dann sah er nach, ob die Hack-fleischpastete auch wirklich im Backofen war – Mrs Higgins vergaß das manchmal –, und nahm die Packung mit Seifenflocken aus dem Schrank unter der Spüle.
    Seit dem Tod seiner Mutter hatte Peter gelernt, wie man den Abwasch erledigte, wie man Wasche zusammenlegte und wie man Nells Haare wusch, ohne dass sie Seife in die Augen bekam. Er hatte gelernt einzukaufen, die Rechnungen zu sortieren und Dad daran zu erinnern, dass sie bezahlt wurden. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es am besten war, mit den Hausaufgaben zu warten, bis Nell schlief, und auch den Boden unter den Betten zu wischen, weil Tante Beatrice immer nachsah, ob es dort auch sauber war. Im Laufe der letzten Jahre hatte Peter gelernt, wie es war, wenn man ständig pflichtbewusst und aufmerksam sein musste und sich dabei oft todmüde fühlte. Ein kleiner Junge zu sein hatte er im Grunde genommen nicht gelernt.
    Der zehnjährige Peter schob den Hocker vor die Spüle, stieg darauf und drehte den Hahn auf. Für sein Alter war er klein und schmächtig; er hatte die tiefblauen Augen seines Vaters und das dunkle, glatte Haar seiner Mutter. Von seiner Mutter hatte er auch die praktische Art geerbt, und vielleicht war das der Grund dafür, dass niemand die Veränderung bemerkte, die mit ihm vorgegangen war.
    Peter selbst war sich keiner Veränderung bewusst. Er hatte sein Schicksal von Anfang an auf sich genommen und gehofft, dass er eines Tages den Grund dafür verstehen würde. Und mit der Ankunft des Briefes, den der Herzog geschrieben hatte, war ihm der Grund endlich klar geworden.
    Es war das Fenster. Das Fenster würde die wichtigste Arbeit sein, die Dad je gemacht hatte, die wichtigste Arbeit, die man sich nur vorstellen konnte, und es war Peters Aufgabe, dafür zu sorgen, dass nichts dazwischenkam. Denn erst wenn dieser Auftrag erledigt war, würde Mama wirklich Ruhe finden. Und Peter auch.
    Peter drehte den Wasserhahn zu, dann hielt er in-ne, denn aus dem Flur kam ein seltsames, klapperndes Geräusch. Es klang irgendwie vertraut, aber er konnte sich nicht mehr erinnern, wo er es schon einmal gehört hatte. Neugierig stieg er vom Hocker und schlich zur Küchentür, um in den Flur zu schauen. Der Anblick, der sich ihm dort bot, machte ihn sprachlos vor Entsetzen.
    So hätte er normalerweise nicht reagiert. Im Gegensatz zu anderen großen Brüdern liebte Peter seine fünfjährige Schwester. Dad nannte Nell seinen Wechselbalg, weil sie so blond war und seltsame Einfälle hatte, aber Peter fiel bei ihrem Anblick immer das Bild ein, das er in einem Buch von Dad gesehen hatte und das einen rotbäckigen Trompe-tenengel zeigte mit leuchtend blauen Augen und einem Lockengewirr, wie Dad es hatte, nur dass es bei Nell goldblond war statt braun. Mit dem Unterschied, dass der Engel im Bilderbuch keinen schokoladenbraunen Teddy in der Hand hatte, aber für Peter war Nell ohne Bertie ebenso wenig vorstellbar wie ein Engel ohne Flügel. Doch bei diesem Anblick hier bekam er Bauchweh.
    »Wo hast du diese Sachen gefunden, Nell?«, fragte Peter.
    »Ich bin Königin Eleanor«, verkündete Nell, indem sie mit der einen Hand Bertie festhielt und mit der anderen den Saum ihres Kleides anhob, »und das hier ist Sir Bertram of Harris, und mit Bauar-beitern sprechen wir nicht.«
    »Mit Bauern, Nell.« Peter hatte geahnt, dass es nichts Gutes bringen würde, wenn Dad ihr die Sage von König Artus vorlas, aber darum ging es im Moment nicht. Das Problem lag darin, dass Nell Bertie in Mamas besten Seidenschal gehüllt hatte und dass sie selbst Mamas rosageblümtes Kleid und ihre weißen Schuhe mit den hohen Absätzen trug, und dass Papa jede Minute heimkommen konnte.
    »Du musst mich mit Majestät anreden«, korrigierte Nell ihn. »Und zu Bertie musst du ›Sir Bertram‹ sagen …«
    »Nell, wir spielen jetzt nicht.«
    »Ich bin Königin …«
    »Nell.«
    »Tante Bea?« Nell sprach jetzt mit ihrer normalen Stimme und sah besorgt zur Wohnzimmertür.
    Erleichtert schüttelte Peter den Kopf. Wenn er einmal ihre Aufmerksamkeit hatte, konnte Nell sehr kooperativ sein, aber als Königin Eleanor war sie störrisch wie ein Esel.
    »Nein«, erklärte Peter, »es sind diese Sachen. Dad wird schrecklich traurig sein, wenn er sie sieht.«
    »Ja?« Nell machte eine kurze Pause, dann kam das Unvermeidliche.

    »Warum?«
    »Weil sie Mama gehört haben. Und wenn ihr sie tragt, wird Dad an sie erinnert.«
    »Und davon wird er traurig?«
    »Ja«,
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