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Um Leben Und Tod

Um Leben Und Tod

Titel: Um Leben Und Tod
Autoren: Barbara Hoehn , Ortwin Ennigkeit
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dem Vorwurf, dass sie die Folter erlaubt hätte. Gäfgen wäre dadurch das Recht auf ein faires Verfahren verweigert worden, weil er zu seinem Geständnis erpresst worden wäre, so argumentierten sie.
    Ãœber die Beschwerde selbst entschied der EGMR. Dem Tenor nach wurde festgestellt, dass Gäfgen nicht geltend machen könne, Opfer einer Verletzung von Artikel (Art). 3 der Menschenrechtskonvention, dem Verbot der Folter, zu sein.
    Gegen diesen Beschluss hat Gäfgen um Entscheidung der Großen Kammer des EGMR nachgesucht. Die mündliche Verhandlung hierüber hat am 18. März 2009 stattgefunden, und das Verfahren endete mit einem für Juristen typischen Kompromiss. Der EGMR hat am 1. Juni 2010 – zwar meines Erachtens unter völliger Verkennung der Fakten – entschieden, dass Gäfgen »unmenschlicher Behandlung« ausgesetzt gewesen sei. Das Gericht entschied aber auch, dass seine Verurteilung gleichwohl auf gesetzliche Weise zustande kam, also im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention »fair« ist, weil Gäfgen sein angeblich erpresstes Geständnis später aus völlig freien Stücken wiederholt hatte.
    Gäfgens Schmerzensgeldverfahren gegen das Land Hessen macht mich wütend. Er hat unzählige Personen durch die Tötung Jakobs und seine folgenden Lügen und falschen Verdächtigungen traumatisiert, Familie von Metzler und viele andere Menschen nachhaltig geprägt.
    Keiner von ihnen hat versucht, soweit mir bekannt ist, dafür eine finanzielle Entschädigung zu erlangen. Die erlittenen Ängste und Schmerzen mit all ihren Folgen wären durch Geld auch nicht wiedergutzumachen. Auch deswegen habe ich mich entschlossen, meine Sicht der Ermittlungen und des Ablaufs jener so verzerrt wahrgenommenen Vernehmung vom 1. Oktober 2002 zum ersten Mal öffentlich zu schildern.
    Im Sommer 2008 lernte ich Barbara Höhn, Mitarbeiterin des ORF-Büros in Rom, kennen. Ich sprach mit ihr über meine Absicht, ein Buch über diese Thematik zu schreiben, und meine Bedenken, dass es mir schwerfallen würde, alles alleine zu Papier zu bringen. Sie bot mir ihre Unterstützung an, und so setzten wir uns hin, studierten Akten, Gutachten, Zeitungsartikel, juristische Abhandlungen und sprachen mit Betroffenen. Dann begannen wir zu schreiben.
    An dem, was geschah, seit Gäfgen in Untersuchungshaft kam, bis zur Hauptverhandlung gegen Daschner und mich, war ich nicht immer persönlich beteiligt. Aus Unterlagen und Gesprächen im Zusammenhang mit meiner Verteidigung erhielt ich jedoch einen tiefen Einblick in das Gesamtgeschehen.
    Alle Dialoge im Buch sind an die Wirklichkeit, an Unterlagen, an Gespräche mit Betroffenen angelehnt. Nach so vielen Jahren kann das eine oder andere Wort in der Erinnerung verändert worden sein. Der Sinn ist jedoch erhalten geblieben.
    Es ist mir ein großes Anliegen, allen, die mich bei meiner Arbeit unterstützt und beraten haben, großen Dank auszusprechen. Ich verzichte dabei auf eine namentliche Aufzählung.
    Einige Beteiligte möchten vermeiden, eventuell neu oder wieder in das Licht der Öffentlichkeit gezogen zu werden. Deshalb wurden deren Namen geändert.
    Trotz allem, was Wolfgang Daschner und mir widerfahren ist, möchte ich den Glauben an das Recht aufrechterhalten. Es ist die Basis unseres gemeinschaftlichen Zusammenlebens, auch wenn manchmal Zweifel an der Auslegung angebracht sind.
    Ortwin Ennigkeit
    Frankfurt am Main im Juni 2011

Hauptteil
    Vier Tage lang hatten wir uns pausenlos eingesetzt, bis an die Grenzen unserer Kraft gearbeitet, bis zur letzten Minute gehofft, gebangt – und wir haben alle verloren: Jakob ist tot, er hatte keine Chance.
    Es gibt keine Worte, die den Schmerz seiner Familie beschreiben können. Aber es gibt Worte, um seinen Mörder, der jetzt Opfer spielen möchte, zu entlarven. Er hat das Leben eines elfjährigen Jungen ausgelöscht, Jakobs Familie zutiefst verwundet, seine eigene Familie beschämt, seine Freundin für ihr Leben gezeichnet, Freunde und Bekannte an ihrer Menschenkenntnis zweifeln lassen.
    Doch anscheinend war es ihm nicht genug. War es sein Narzissmus oder die Gefühllosigkeit, die ihn immer weiter trieben, von Anklage zu Anklage, von Prozess zu Prozess?
    Im Laufe der Zeit verwandelte sich eine angedachte Notlösung, deren erste Stufe eine intensive Befragung war, zu Polizeifolter, Falschinformationen wurden zu
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