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Ulysses Moore – Die steinernen Wächter

Ulysses Moore – Die steinernen Wächter

Titel: Ulysses Moore – Die steinernen Wächter
Autoren: Pierdomenico Baccalario
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Meerjungfrauenstimme. »Aber zum Glück hast du es bis zum Strand geschafft.«
    »Zweimal«, sagte Manfred noch. Dann fiel er wieder in einen tiefen Schlaf.
    Gwendaline stand auf und blickte auf den Mann hinunter, der auf ihrem Sofa lag. Mit Dreitagebart fand sie ihn noch attraktiver.
    Inzwischen war ihr auch eingefallen, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Es war in der Villa von Miss Oblivia Newton außerhalb von Kilmore Cove gewesen. Dann hatte sie ihn nochmals getroffen, im Hotel, wo sie ein paar Worte miteinander gewechselt hatten.
    »Jetzt müsste es dir schon ein bisschen besser gehen«, flüsterte Gwendaline Manfred eine Weile später zu, als dieser erneut die Augen aufschlug. »Du musst noch ein paar Stunden hierbleiben, denn Miss Oblivia ist nicht zu Hause. Weißt du, wo ich sie finden kann?«
    »Nein, Oblivia ... sie ist gegangen. Gegangen«, antwortete Manfred.
    »Wohin denn?«
    »Venedig«, murmelte Manfred. Er konnte seine Augen kaum aufhalten.
    »Sie ist nach Venedig geflogen?«
    »Der Löwe in der Tür ... Spiegel ... Spiegel«, fantasierte Manfred im Fieber.
    »Willst du einen Spiegel? Oder gar mehrere? Wozu das denn?«
    »Siebzehnhundert ...«
    Gwendaline musste lachen. »So viele Spiegel habe ich doch gar nicht.«
    »Siebzehnhundert ... und während ich wartete, war mein Motorrad ... von den Spiegeln ... alle platt ... Verdammte Kinder ... nach Ägypten ... mit der Karte ...«, stammelte Manfred.
    Gwendaline hörte ihm einige Minuten lang zu, aber weil sie praktisch nichts von dem verstand, was er da erzählte, verließ sie das Zimmer. Von der Küche aus wählte sie Oblivia Newtons Nummer und hinterließ auf deren Anrufbeantworter eine weitere Nachricht. Dann rief sie ihre Mutter an.
    »Du kannst dir gar nicht vorstellen, was mir passiert ist. Nein. Nein, wirklich nicht. Ja! Woher weißt du das denn schon wieder? Ja, ein Mann. Was soll das heißen, endlich? Nein, es ist nicht so, wie du denkst. Nein! Nein, du kannst nicht herkommen und ihn dir anschauen. Er schläft. Eigentlich fantasiert er. Er hat hohes Fieber. Er sagt, er sei wegen eines Pferdes von den Klippen gestürzt. Vielleicht hat er sein Geld beim Pferderennen verloren. Jedenfalls ist er bis zum Strand geschwommen und dort habe ich ihn gefunden. Aber sicher! Geheimnisvoll und faszinierend ... Wie meinst du das? Nein, natürlich habe ich ihn nicht so nass und dreckig gelassen, wie er war. Ich habe ihm Alfreds Pyjama angezogen. Geschieht dem recht, was musste er mich auch ausgerechnet an meinem Geburtstag sitzen lassen. Er passt ihm wie angegossen. Als ob ich den Pyjama für ihn gekauft hätte. Siehst du? Ich finde, das ist ein Wink des Schicksals. Nein, ich weiß nicht, wie er heißt.«
    Durch die offenen Türen hörte sie, dass Manfred inzwischen lauter fantasierte.
    »Hörst du ihn? Ich habe dir ja schon erzählt, dass er hohes Fieber hat. Natürlich habe ich Eis genommen. Aber es hat bis jetzt nicht viel geholfen. Er redet immer noch von Löwen, von Motorrädern und von Venedig. Vielleicht kommt er viel herum.«
    Gwendaline legte die Hand auf das Mundstück des Hörers. Manfred war noch lauter geworden. »Entschuldige mich kurz, Mama. Jetzt geht es um einen Gärtner und ein paar Kinder. Ich rufe dich nachher wieder an. Bye-bye!«
    Die Friseurin kehrte ins Wohnzimmer zurück, um nach Manfred zu sehen. Er wälzte sich auf dem Sofa herum und umklammerte die Decke, mit der Gwendaline ihn zugedeckt hatte.
    »Die Tür zur Zeit ... Zur Villa, zur Villa! Ich will die Tür sehen. Aber da sind die Kinder ... die Kinder ... Wir müssen die verdammten Kinder aufhalten ... Sie gefährden alles!«
    Gwendaline war aufmerksam geworden. »Übertreibst du nicht ein bisschen, mein schöner Unbekannter?«
    »Verschließen, versperren, aufhalten. Die Tür zur Zeit verschließen! Ins Haus! Alle ins Haus!«
    In diesem Augenblick klingelte Gwendalines Telefon. Mit einigen Sätzen war sie beim Apparat und hob ab. »Gwendaline Mainoff. Modische Schnitte und Frisuren. Ich bedaure, aber das Geschäft bleibt heute geschlossen.« Sie hörte einige Sekunden lang zu, dann schimpfte sie: »Mama! Ich habe es dir doch schon so oft gesagt, du sollst mich nicht auf der Nummer vom Laden anrufen! Nein, es ist schlimmer geworden: Jetzt erzählt er von Kindern, die die Türen zur Zeit versperrt haben. Ja. Ach, wem sagst du das! Ich habe immer so viel zu tun, ich hätte auch gerne eine Tür zur Zeit.«



Ein erstes gelbliches Dämmerlicht durchdrang den dichten Nebel über
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