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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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Theorie überzeugt mich nicht, sie ist an den Haaren herbeigezogen und unglaubwürdig.«
    »Aber …«
    Er sah mich scharf an. »Ich hoffe, Sie haben noch mit niemandem darüber geredet?«
    »Sie sind der Erste und der Einzige.« Die übliche Antwort heiratswilliger Prinzessinnen weltweit, auch den Anwalt schien sie zufriedenzustellen.
    »Dann belassen Sie es dabei. Kein Wort zu jemand anderem, unter gar keinen Umständen dürfen Sie mit Presseleuten über ihre lächerlichen Schlussfolgerungen reden. Es würde nur zu Verwirrung und Unklarheiten führen, wenn die Öffentlichkeit davon erfährt.«
    Enttäuscht nickte ich. Natürlich dachte ich nicht im Traum daran, seine Anweisungen zu befolgen.
    »Da könnte wirklich was dran sein.« José wiegte ärgerlich den Kopf, während er der Bedienung mit einem kurzen Anheben des Zeigefingers zu verstehen gab, dass wir zwei weiteren Drinks keineswegs abgeneigt waren. »Aber wieso hast du mir nicht schon vorher davon erzählt? Jetzt habe ich den Redaktionsschluss verpasst! Die Zeitung wird gerade gedruckt.«
    Ich setzte eine zerknirschte Miene auf. »Ich dachte, es wäre richtig, zuerst die Staatsanwaltschaft zu informieren, schließlich geht es um den Tod eines Menschen.«
    José stieß abschätzig die Luft aus. »Schon korrekt. Nur hättest du es mir auch mitteilen dürfen.«
    »Im Gegensatz zu dir schien Tobler überhaupt nicht überzeugt von meiner Theorie. Das hat mich verunsichert.«
    Wir saßen am Tresen der gut besuchten Central Bar und hatten uns bis anhin an Wodka Tonic gehalten. Ein gemütliches Lokal mit viel hellem Holz und Rechaudkerzen in Glasbehältern. Die anwesende Klientel war in unserem Alter oder sogar älter und unterhielt sich halblaut, während im Hintergrund Till Brönners Saxofon für Coolness und einen Hauch New York sorgte. Früher hätte ich mich über ein solches Setting garantiert lustig gemacht, doch wie ich erst kürzlich und mit Schrecken festgestellt hatte, ließ mich das fortschreitende Alter milde werden. Zumindest phasenweise.
    Es herrschte eine angeregte Atmosphäre im Raum, die nichts von der Hektik des Wochenendes ahnen ließ, wenn die Jugend aus den Agglomerationen scharenweise in Zürich einfiel, um lärmig und randalierend die Ausgehquartiere der Stadt zu besetzen.
    »Auf alle Fälle lohnt es sich, die Theorie zu überprüfen«, lenkte José ein, während die Bedienung, eine sehr schlanke Dame, die mit ihrem engen schwarzen Rollkragenpullover und ebensolchen Hosen mehr nach Geschäftsfrau aussah als nach Kellnerin, die bestellten Longdrinks vor uns platzierte.
    »Ich halte es immer noch für sehr wahrscheinlich, dass der junge Mann aus dem Fahrwerkkasten gefallen ist. Eine andere Erklärung für die abgebrochenen Äste fällt mir nicht ein.«
    »Ich werde dem nachgehen. Gleich morgen früh.« Der Satz hatte etwas Abschließendes an sich. José hielt seinen Drink hoch und wartete darauf, dass ich mit ihm anstieß. Also erhob ich mein Glas und sobald ich meinem langjährigen Kumpel in die Augen blickte, wusste ich, was los war.
    Und richtig: Die Gläser klirrten gegeneinander und kaum hatte ich den ersten Schluck genommen, räusperte sich José, kratzte sich im Nacken und ließ den Blick unruhig durch die Bar schweifen. Ich lehnte mich zurück und harrte der Dinge, die nun unausweichlich auf mich zukommen würden.
    Wenn ich in den vierunddreißig Jahren meiner Existenz etwas über den Umgang mit mir nahestehenden Menschen gelernt hatte, die gerade eine Liebesbeziehung anstrebten, hinterfragten oder beendeten, dann war es Folgendes: Erstens kam man nicht umhin, ihnen zuzuhören – meist legten die Betroffenen einen geradezu missionarischen Eifer an den Tag, wenn es darum ging, einem in überfüllten Lokalen lautstark ihre Probleme ins Ohr zu brüllen. Außerdem war es ihnen komplett egal, in welcher Verfassung oder Begleitung man sich gerade befand. Zweitens konnte man sich jeden noch so gut gemeinten Rat ersparen. Externe Meinungen waren nur dann willkommen, wenn sie sich auf ein mitfühlendes Nicken beschränkten. Und drittens stattete man am besten sein Gehirn und die sich aufdrängenden Kommentare unverzüglich mit Sonnencreme und Badetüchern aus und entließ sie in den Urlaub – denn schon am nächsten Tag konnte sich die Ansicht des Redenden komplett gewandelt haben.
    »Weißt du«, begann José nun, und seine Stimme klang mit einem Mal heiser. »Manchmal wünschte ich, ich wäre noch Single.«
    »Aber du hast doch jetzt Fiona,
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