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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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bestand aus quadratischen taubengrauen Platten und verfügte über derart auffällige Jalousienschienen, dass der Bau von Weitem an den Gefängnistrakt in einem futuristischen Film erinnerte.
    Keuchend blieb ich im überdachten Eingangsbereich stehen und überprüfte die Namen auf den Klingelschildern.
    Dr. iur. Frank R. Tobler, der leitende Staatsanwalt, residierte in einem Büro im ersten Stock.
    Ich verzichtete darauf zu rätseln, was das ›R.‹ bedeuten mochte. Wahrscheinlich steckte wie so oft simple Wichtigtuerei dahinter. Ohnehin waren mir Menschen suspekt, die auf ihren zweiten Vornamen zwar unbedingt hinweisen, ihn aber nicht ausschreiben wollten – der ehemalige amerikanische Präsident war mir dabei Beweis genug.
    Der Aufgang zur Staatsanwaltschaft über die Treppe war nicht möglich, da eine abgesperrte, weiß gestrichene Gittertür dies verhinderte. Also nahm ich den Aufzug. Der verwaiste Empfangsbereich und der abgetretene Bodenbelag aus graubraunem Kunststoff strahlten eine düstere Tristesse aus. Auf einem zwischen zwei Wartesesseln eingeklemmten Tischchen stand eine grünlich schimmernde Glasschale, die bis zur Hälfte mit eingepackten Bonbons gefüllt war. An einem Kleiderständer hing eine vergessene Windjacke.
    Als ich in den Korridor einbog, war Tobler gerade im Begriff, einen der Räume am Ende des Flurs zu verlassen. Er trug einen zweifelsohne maßgeschneiderten Anzug, den Kamelhaarmantel hatte er locker über den Arm gehängt. Seit dem Morgen hatte sich auf den ersten Blick kein Härchen seiner perfekt sitzenden Frisur verschoben.
    »Dr. Tobler! Warten Sie!«, rief ich ihm zu, doch er schien mich nicht gehört zu haben, denn er wählte unbeirrt den passenden Schlüssel an seinem Bund und schloss ab. Ich rannte auf ihn zu. Erst als ich erneut seinen Namen rief, hob er den Kopf und sofort wechselte sein Gesichtsausdruck von irritiert zu abweisend.
    »Was wollen denn Sie hier?«
    »Ich habe eine Entdeckung gemacht! Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch aufgefallen ist …« Ich blieb vor ihm stehen und wählte die folgenden Worte mit größter Diplomatie aus: »Nun, ich bin mir eigentlich sicher, dass Sie es auch bemerkt haben, schließlich sind Sie Staatsanwalt …«
    Er blickte mich unverwandt kühl an. »Erinnern Sie sich an heute Morgen, Kumar? Auch wenn hier kein Absperrband zu sehen ist, die Weisung gilt trotzdem: Halten Sie sich verdammt noch mal raus!« Er presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und sein Kiefer schob sich nach vorn, der Blick wurde hart. »Und jetzt machen Sie, dass Sie hier rauskommen!«
    »Ich habe eine Erklärung dafür, was mit dem Toten geschehen sein könnte!«
    »Was Sie nicht sagen.« Dr. Tobler warf einen Blick auf seine betont schlichte Armbanduhr, die gerade deswegen wohl ziemlich teuer gewesen sein musste.
    »Da waren Äste abgebrochen, direkt über dem Fundort der Leiche.«
    Überrascht blickte er auf und sah mich prüfend an. Dann drehte er sich wieder zur Tür um und schloss sie auf. »Aber fassen Sie sich kurz, Kumar!«
    Ich atmete auf. Immerhin zeigte er einen Funken Interesse. Was andererseits wohl bedeutete, dass er selbst nicht wirklich weitergekommen war.
    »Es könnte gut sein, dass der junge Mann keinem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist …« Ich trat ein und verschaffte mir rasch einen Überblick, während er um den Schreibtisch herumging und den Mantel über die Lehne seines schwarzen ledergepolsterten Bürostuhls legte, ein Designerstück, ohne Zweifel.
    Sein Büro war – um es wohlwollend zu formulieren – funktional eingerichtet. An der Wand zu meiner Linken reihten sich Regale voller Ordner, an den Fenstern hingen fadenscheinige Gardinen, in einer Ecke der unvermeidliche Ficus. Grau gesprenkelter Spannteppich bedeckte den Boden. Ein Albtraum von einem Büro. Erfände man ein solches für einen Roman, würden die Kritiker wahrscheinlich unisono ›Klischee!‹ schreien.
    Die rechte Wand war leer bis auf ein dunkles Holzkreuz, das auf Augenhöhe angebracht war. Der Schreibtisch wirkte aufgeräumt, Kugelschreiber und Bleistifte steckten in einem zylindrischen Stahlbehälter, daneben war ein Bilderrahmen aufgestellt. Das Foto darin zeigte einen lächelnden Staatsanwalt, der den Arm um eine junge, strahlende Frau gelegt hatte. Ein etwa dreijähriger Knabe saß auf ihrem Schoß und guckte zweifelnd in die Kamera. Irgendetwas kam mir an dem Foto merkwürdig vor, ohne dass ich hätte benennen können, was genau es war. Ich blickte
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