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Ueberflieger

Titel: Ueberflieger
Autoren: Malcolm Gladwell
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werden.« Mit anderen Worten erhalten diejenigen, die bereits Erfolg haben, mit großer Wahrscheinlichkeit weitere Chancen, die ihnen neue Erfolge ermöglichen. Die Reichen profitieren am meisten von Steuererleichterungen. In den Schulen bekommen die besten Schüler die meiste Aufmerksamkeit und den besten Unterricht. Und im Eishockey erhalten die körperlich am weitesten entwickelten neun- und zehnjährigen Jungen das beste Training und die meiste Spielpraxis. Erfolg ist das Resultat dessen, was Soziologen als »sich akkumulierenden Vorteil« bezeichnen. Der spätere Eishockeyprofi ist zu Beginn seiner Karriere vielleicht ein klein wenig besser als die gleichaltrigen Kinder. Dieser kleine Vorsprung eröffnet ihm jedoch eine Chance, die diesen Unterschied vergrößert. Damit erhält das Kind wiederum neue Möglichkeiten, die den Abstand weiter vergrößern – und so weiter, bis sich der Spieler in einen wirklichen Überflieger verwandelt hat. Doch er hat nicht als Überflieger angefangen. Am Anfang war er lediglich ein bisschen besser.
    Die zweite Schlussfolgerung aus dem Beispiel Eishockey ist, dass die Auswahlsysteme, mit denen wir zwischen Talentierten und weniger Talentierten differenzieren, nicht besonders effektiv sind. Wir glauben, wenn wir so früh wie möglich mit Auswahlprogrammen und Begabtenförderung beginnen, könnten wir sicherstellen, dass uns kein Talent durch die Lappen geht. Aber sehen wir uns noch einmal den Kader der tschechischen Nationalmannschaft an: Aus den Monaten Juli, Oktober, November und Dezember ist kein einziger Spieler vertreten und aus den Monaten August und September lediglich jeweils einer. Spieler, die in der zweiten Jahreshälfte zur Welt kamen, wurden frustriert, übersehen oder gänzlich aus dem Sport gedrängt.
Damit wurde die Hälfte aller
potenziellen Fußballtalente Tschechiens vergeudet.
    |33| Was also tun, wenn Sie ein sportlicher junger Tscheche sind und das Pech haben, in der zweiten Jahreshälfte zur Welt gekommen zu sein? Fußball kommt jedenfalls nicht in Frage. Vielleicht können Sie in einer Sportart unterkommen, für die sich die Tschechen begeistern, dem Eishockey. Aber Moment mal. (Vermutlich ahnen Sie schon, was jetzt kommt.) Sehen wir uns den Kader der tschechischen Jugendnationalmannschaft an, die bei der Weltmeisterschaft des Jahres 2007 den fünften Platz belegte:

    |34| Wer in den letzten vier Monaten des Jahres geboren wurde, kann also auch Eishockey getrost abhaken.
    Sehen Sie, was unser Erfolgsverständnis bewirkt? Weil wir meinen, Erfolg sei ausschließlich das Ergebnis persönlicher Leistung, versäumen wir es, andere auf dem Weg nach oben zu unterstützen. Wir stellen Regeln auf, mit denen wir Leistung verhindern. Wir schreiben bestimmte Menschen vorzeitig ab. Wir zollen den Erfolgreichen übertriebene Bewunderung und den Erfolglosen übertriebene Verachtung. Vor allem aber handeln wir zu passiv. Wir sind uns nicht bewusst, wie groß der Einfluss ist, den wir – die Gesellschaft – darauf haben, wer Erfolg hat und wer nicht.
    Wenn wir wollen, könnten wir uns eingestehen, wie wichtig willkürlich festgelegte Stichtage sind. Wir könnten beispielsweise zwei oder drei nach Geburtsmonaten differenzierte Eishockey­ligen einrichten. Die Spieler könnten sich getrennt voneinander entwickeln und später in Auswahlmannschaften zusammengebracht werden. Wenn alle tschechischen und kanadischen Sportler, die am Jahresende geboren wurden, eine faire Chance bekämen, dann hätten die jeweiligen Nationalmannschaften plötzlich die Wahl unter der doppelten Anzahl von Spielern.
    In den Schulen könnten wir ähnlich verfahren. Grundschulen und Mittelstufen könnten getrennte Klassen für die von Januar bis April, die von Mai bis August und die von September bis Dezember Geborenen einrichten. Auf diese Weise könnten Kinder mit gleich alten und gleich reifen Mitschülern lernen und konkurrieren. Das würde zwar möglicherweise einen geringfügig größeren Verwaltungsaufwand bedeuten, doch die Kosten wären mehr oder weniger dieselben, und diejenigen, die heute ohne eigenes Verschulden vom Schulsystem stark benachteiligt werden, bekämen eine faire Chance. Anders gesagt können wir den Erfolg selbst in die Hand nehmen – nicht nur im Sport, sondern auch in anderen, wichtigeren Bereichen. Doch wir tun es nicht. Und warum? Weil wir uns an der Vorstellung festhalten, dass Erfolg das Resultat individueller Leistung ist, auf die weder die Umwelt, in der wir aufwachsen,
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