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Ueberflieger

Titel: Ueberflieger
Autoren: Malcolm Gladwell
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|35| noch die Regeln, die wir als Gesellschaft aufstellen, einen Einfluss haben.
    6.
    Vor dem Memorial-Cup-Endspiel steht Gord Wasden, der Vater eines Spielers von Medicine Hat, an der Bande und erzählt von seinem Sohn Scott. Er trägt eine Mütze und ein schwarzes T-Shirt mit dem Wappen von Medicine Hat. »Als er vier Jahre alt war, hat sein kleiner Bruder noch im Laufwägelchen gestanden. Er hat ihm einen Schläger in die Hand gedrückt, und sie haben von morgens bis abends in der Küche Hockey gespielt. Von klein auf war Scott ein Eishockeynarr. In der Minor-League war er immer in der Auswahlmannschaft. In der Peewee-League, in der Bantam-League, er war immer in der Auswahl.« Wasden ist nervös: Sein Sohn steht vor dem wichtigsten Spiel seines Lebens. »Er hat immer hart arbeiten müssen, für alles, was er erreicht hat. Ich bin sehr stolz auf ihn.«
    Das sind also die Zutaten des Erfolgs: Leidenschaft, Talent, Fleiß. Aber da gibt es noch einen anderen Faktor. Wann hatte Wasden zum ersten Mal das Gefühl, dass sein Sohn etwas Besonderes war? »Wissen Sie, er war immer recht groß für sein Alter. Er war stark und hatte schon früh raus, wie man Tore schießt. Er war immer der Auffälligste in seiner Gruppe, er war immer Kapitän.«
    Recht groß für sein Alter? Natürlich. Scott Wasden wurde am 4. Januar geboren, drei Tage nach dem perfekten Geburtstag für einen Profispieler. Scott hatte Glück. Läge der Stichtag im kanadischen Eishockey einen Monat später, hätte er das Endspiel vermutlich von der Tribüne aus verfolgt.

1
Das Auswahlverfahren für kanadische Eishockeyspieler ist ein schönes Beispiel für das, was der Soziologe Robert Merton eine »sich selbst erfüllende Prophezeiung« genannt hat: eine Situation, in der »eine falsche Ausgangsdefinition … ein Verhalten bewirkt, durch das sich diese falsche Ausgangsvorstellung bewahrheitet«. Die Kanadier beginnen mit einer falschen Definition der besten neun- und zehnjährigen Eishockeyspieler. Sie wählen ganz einfach Jahr für Jahr die Ältesten aus. Doch die Behandlung, die sie den Auswahlspielern geben, lässt den Eindruck entstehen, als sei dieses ursprüngliche Fehlurteil richtig gewesen. Um es mit Mertons Worten zu sagen: »Aufgrund der scheinbaren Richtigkeit der sich selbst erfüllenden Prophezeiung setzt sich der Irrtum immer weiter fort. Der Prophet verweist auf den Verlauf der weiteren Ereignisse, um zu beweisen, dass er von Anfang an Recht hatte.«.
2
In einer typischen US-amerikanischen Stadt bekommt ein körperlich weniger weit entwickeltes Kind mindestens ebenso viel Spielpraxis im Basketball wie seine etwas älteren Klassenkameraden, da ausreichend Plätze und Mitspieler vorhanden sind. Um Eishockey zu spielen, benötigt man dagegen eine Halle. Aufgrund seiner Offenheit und Verbreitung entgeht Basketball dieser Verteilung.
3
Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen spielt das Phänomen des relativen Alters eine Rolle. Barnsley und zwei Kollegen fanden beispielsweise heraus, dass Schüler, die Selbstmordversuche begehen, mit größerer Wahrscheinlichkeit in der zweiten Hälfte ihres Altersjahrgangs geboren wurden. Die Psychologen erklären dies damit, dass schlechtere schulische Leistung Depressionen befördern kann. Der Zusammenhang zwischen relativem Alter und Selbstmord ist allerdings bei Weitem nicht so ausgeprägt wie der zwischen Geburtsmonat und sportlichem Erfolg.

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|36| Kapitel 2
Die 10 000-Stunden-Regel
    »In Hamburg haben wir acht Stunden am Stück auf der Bühne gestanden.«
    1.
    Im Jahr 1971 eröffnete die University of Michigan ihr neues Computerzentrum, ein Gebäude an der Beal Avenue in Ann Arbor mit beigen Ziegelmauern und einer dunklen Glasfassade. Die gewaltigen Mainframe-Computer der Universität standen in der Mitte eines riesigen weißen Raumes und erinnerten »an den Schluss des Films
2001: Odyssee im Weltraum
«, wie einer der Professoren es ausdrückte. An den Wänden standen Dutzende Lochkartenstanzer, die seinerzeit als Computerterminals durchgingen. Im Jahr 1971 war das Spitzentechnologie. Die University of Michigan hatte eine der fortschrittlichsten IT-Fakultäten in aller Welt, und während das Computerzentrum in Betrieb war, arbeiteten Tausende Studenten in diesem weißen Raum. Der bekannteste von ihnen war ein schlaksiger Junge namens Bill Joy.
    Joy schrieb sich genau in dem Jahr an der University of Michigan ein, in dem das Computerzentrum eröffnet wurde. Er war 16 Jahre alt,
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