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Über Nacht - Roman

Über Nacht - Roman

Titel: Über Nacht - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Jedesmal, wenn Irma ihn bat, zu ihr zu kommen, schüttelte er den Kopf und eilte mit dem Koffer davon, um irgendwo zwischen Sofa und Regal das Heu abzuladen. Die Traktorengeräusche, die er von sich gab, klangen wie Töne aus einer billigen Trillerpfeife.
    Â«Komm jetzt», sagte Irma.
    Heftiges Kopfschütteln. Davide rührte sich nicht, es sahaus, als zählte er die Blätter an den Platanen. Irma versuchte Florian einzufangen, aber er entwischte unter den Tisch. Sie griff nach seiner Hand, er entkam auf die andere Seite, lief hinaus ins Vorzimmer, Irma hinter ihm her.
    Â«Aber ich will nicht», sagte Florian. Er legte sich auf den Boden, lachte, als ihn Irma am Bauch kitzelte. Davide hatte sich unterdessen umgedreht, er lehnte am Türrahmen und sah den beiden zu.
    Â«Papa soll mir den Pyjama anziehen», sagte Florian und blickte Davide an.
    Irma erhob sich aus der Hocke. «Das ist Davide. Der Freund von Onkel Richard.»
    Sie berührte Davide am Oberarm, ging zum Schreibtisch und holte eines der beiden Photos, die ihr Lucchi mitgegeben hatte.
    Â«Das ist dein Papa.» Sie tippte mit dem Zeigefinger auf Rinos Gesicht. Florian schaute kurz auf das Bild und kniff die Augen zusammen. Weil er es nicht in die Hand nehmen wollte, legte Irma das Photo auf die Vorzimmerkommode. Sie zog sich in die Küche zurück. Davide war ins Bad gegangen; sie hörte, wie er den Wasserhahn aufdrehte, um sich die Hände zu waschen. Nach einer Weile ging sie auf Zehenspitzen bis zur Tür, blickte um die Ecke. Florian stand nicht mehr im Vorzimmer; das Photo war von der Kommode verschwunden.
    Jetzt habe ich nicht einmal mehr die Abende für mich, dachte Irma. Es war ein Fehler, sofort einzuwilligen. Davide hatte eine Flasche Wein geöffnet; er saß im Schneidersitz auf dem Sofa, nippte am Glas und schaute sich auf RAI uno die Nachrichten an, während Irma ihre E-Mails abrief; sie fand einen langen Brief von Friedrich, in dem er von seinen privaten Fehlschlägen berichtete. Warum macht er das, dachte sie. Wenn ich an meine Vergangenheit denke, fällt mir zuerst ein, was nichtwar, was mir genommen worden ist. In meinem Körper sind die Nieren auf Nußgröße geschrumpft.
Anfangen, sich zu vergessen
, schrieb Irma in ihr Heft.
    Da kam eine Nachricht von Marianne herein.
Liebe Irma, Du warst in Rom? Warum verschweigst Du mir das? Paul hätte dringend zwei Bücher gebraucht. Ich versteh’ Dich nicht. Du weißt, daß ich nicht wegkann.
    Der Abendwind blies die Vorhänge aus dem Fenster. Davide stand auf, um die Wohnzimmertür zu schließen. Er trug das Handy mit sich herum, aus Angst, er könnte den Signalton einer eingegangenen Nachricht überhören.
    Irma schrieb zurück:
Liebe Marianne, ich hatte Angst, Dich zu verletzen, wenn ich Dir erzähle, daß ich nach Rom fliege.
    Â«Wann rufst du Rino an?» fragte Davide.
    Â«Vielleicht überhaupt nicht», sagte Irma.
    Â«Und Florian?»
    Â«Ich werde etwas erfinden. Das Leben ist einfallslos genug.» Irma dachte an den skulpturenverzierten Obelisken, an den heiligen Oronzo, der auf ihm thronte und auf die Piazza della Libertà herunterblickte. Sie war noch nie in ihrem Leben in Ostuni gewesen, aber das Photo im Reiseführer hatte sich sofort in Erinnerung verwandelt. In zukünftige Erinnerung. Sie griff nach ihrem Diktaphon und wiederholte: «Zukünftige Erinnerung.»
    Â«Was tust du da?» fragte Davide. Er machte den Fernseher leiser.
    Â«Ich sammle für mein Buch.»
    Â«Ãœber die aussterbenden Berufe?»
    Â«Nein.»
    Irma sah Davide an. Er hatte noch immer gerötete Augen, war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um nachzufragen.
    Â«Warum, glaubst du, hat dich Richard betrogen?»
    Â«Kann man das wissen?» Davide griff nach dem Handy, warfeinen Blick auf das Display. «Mir ist Sex nicht so wichtig. Die ficken doch alle herum, weil sie glauben, das gehört dazu. Die Parks – ich mag das nicht.»
    Â«Richard geht in Parks?»
    Â«Keine Ahnung. Alexander sicher. Die hatten damals schon was miteinander – ich Idiot!» Davide schlang seine Arme um die angezogenen Beine, er wippte mit seinem Oberkörper.
    Â«War dieser Alexander schon vor seiner Ehe homosexuell?»
    Â«Ja. Er hat wohl geglaubt, er könne seine Veranlagung wegheiraten», sagte Davide, «solche Glanzleistungen der Verdrängung schaffen nur die
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