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Über das Sterben

Über das Sterben

Titel: Über das Sterben
Autoren: Gian Domenico Borasio
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warum in dieser Sache hart gerungen wird. Es geht aber auch um die nicht geringen Spenden aus der Bevölkerung. Zu diesem Zweck gründete eine Gruppe von Palliativmedizinern 2010 die «Deutsche Palliativstiftung»,was wiederum den Deutschen Hospiz- und Palliativverband auf den Plan rief, der prompt 2011 die «Deutsche Hospiz- und Palliativstiftung» aus der Taufe hob. Da soll sich einer noch auskennen …
    Diese Entwicklungen sind bedauerlich, denn sie führen dazu, dass Synergieeffekte zwischen Palliativmedizin und Hospizarbeit nicht optimal genutzt werden und es gelegentlich auch zu erheblichen Reibungsverlusten kommt. Bei näherem Hinschauen sind die Gemeinsamkeiten zwischen Hospizarbeit und Palliativmedizin ungleich höher zu bewerten als die Unterschiede. Letztlich sind es zwei Seiten einer Medaille: Die eine ist ohne die andere schlicht nicht existenzfähig. Als Oberbegriff für alle Aktivitäten in beiden Bereichen hat sich inzwischen der englische Ausdruck
Palliative Care
etabliert. Dieser Begriff gilt als nicht ins Deutsche übersetzbar (gelegentlich wird der etwas bürokratisch anmutende Ausdruck «Palliativversorgung» verwendet). Im englischen Wort
care
schwingt das Element der Fürsorge mit – eine wichtige Eigenschaft, die allerdings nicht allein der Palliativmedizin und Hospizarbeit vorbehalten sein sollte, sondern als Grundelement das gesamte Gesundheitswesen durchziehen müsste.
Die Gefahr der ethischen Überhöhung
    Wenn man die Berichterstattungen in den Medien verfolgt, könnte man manchmal meinen, dass in der Palliativ- und Hospizarbeit lauter selbstlose, aufopferungsbereite und uneigennützige Menschen ihren Dienst an den Sterbenden mit freudiger Hingabe verrichten. Die gute Nachricht: Solche Menschen gibt es in der Tat, insbesondere unter den ehrenamtlichen Hospizhelfern. Die schlechte: Neid, Eifersucht,Missgunst, Mobbing, Intrigen, Machtkämpfe mit harten Bandagen und Ähnliches sind in der professionellen Hospiz- und Palliativarbeit genauso häufig anzutreffen wie überall sonst. Das sollte nicht verwundern, denn die Hospiz- und Palliativwelt besteht genauso aus Menschen wie die übrige Berufswelt. Gelegentlich ist die Tendenz zu beobachten, die Hospiz- und Palliativarbeit als eine «ethisch besonders hochstehende Tätigkeit» gleichsam mit einer Art Heiligenschein zu versehen. Einigen Akteuren in diesem Bereich scheint dies gar nicht so unrecht zu sein. Das ist aber gefährlich: Wer sich auf einen «ethischen Sockel» heben lässt, der fällt meist irgendwann mit großem Krach herunter – Beispiele hierfür gibt es genug.
    Die vielleicht größte Herausforderung für die Hospiz- und Palliativarbeit in den kommenden Jahren wird sein, den notwendigen Professionalisierungs- und Institutionalisierungsprozess zu verkraften, ohne die Ideale der Pionierzeit aufzugeben, und gleichzeitig eine erfrischende Nüchternheit und pathosfreie Selbstverständlichkeit in die eigene Arbeit und Präsenz einzubringen. Hierin liegt eine wichtige gemeinsame Aufgabe für die Hospizarbeit und die Palliativmedizin. Im Idealfall könnte es der Palliativmedizin langfristig gelingen, sozusagen als ein gutartiges «trojanisches Pferd» die Ziele der Hospizbewegung in die gesamte Medizin einzubringen und damit die moderne Medizin patientennäher, multiprofessioneller, kommunikativer und reflektierter werden zu lassen. Das wird nicht einfach sein, denn es gibt erhebliche Widerstände seitens des Medizinsystems (siehe Kapitel 3 und nachfolgenden Abschnitt), aber gemeinsam ist es zu schaffen.
Das Ringen um die Anerkennung der Palliativmedizin
    Lange Zeit galt die Palliativmedizin in deutschen Krankenhäusern, insbesondere im universitären System, als «windelweiches», unwissenschaftliches Fach, bei dem es im Grunde nur darum gehe, den Sterbenden die Hand zu halten und etwas Morphin zu verschreiben. Dementsprechend schwer taten sich die Pioniere dieses Faches in der Anfangsphase der 1980er und 1990er Jahre. Ein erster Durchbruch gelang durch die Einrichtung des ersten deutschen Lehrstuhls für Palliativmedizin 1999 an der Universität Bonn. Dieser hatte aber einen kleinen Schönheitsfehler: Es handelte sich um einen Stiftungslehrstuhl aus Mitteln der Pharmaindustrie. Der zweite Lehrstuhl wurde erst sechs Jahre später in Aachen etabliert, wiederum mit Mitteln aus einer pharmanahen Stiftung. Was könnte die Pharmaindustrie dazu bewogen haben, die Palliativmedizin zu unterstützen? Eine Antwort darauf fällt leichter, wenn
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