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Über das Haben

Über das Haben

Titel: Über das Haben
Autoren: Harald Weinrich
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I/«Was einer ist» – II/«Was einer hat» – III/«Was einer vorstellt». Diese Aphorismen sind, ihrer Gattung entsprechend, in einer bewundernswert klaren und eleganten Sprache geschrieben, mit der Schopenhauer für den deutschen Sprachraum, zusammen mit Lichtenberg (vor ihm) und Nietzsche (nach ihm), einer der drei ersten Klassiker der philosophischen Prosa geworden ist.
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    In der ersten Rubrik seiner Aphorismen («Was einer ist») erweckt Schopenhauer allerdings bei seinen Lesern den Eindruck, dass er nichts anderes im Sinn hat, als die aristotelische Bevorzugung des SEINS vor allen anderen Kategorien zu bekräftigen. Er schreibt: «Für unser Lebensglück ist demnach das, was wir SIND , die Persönlichkeit, durchaus das Erste und Wesentlichste.» Neben so viel SEIN ist bei Schopenhauer, wie es scheint, kaum noch Platz für das HABEN , da doch ganz gewiss «was man IST , viel mehr zu unserm Glück beiträgt, als was man HAT ».
    So ist auch die zweite Rubrik seiner Aphorismen mit dem Untertitel «Was einer HAT » der kürzeste und dürftigste Teil seines Buches. Geld HABEN , Besitz HABEN , Reichtümer HABEN , das alles gehört für Schopenhauernicht zu dem, was einer wirklich NÖTIG HAT . Das haben auch schon die Alten so gut oder sogar besser gewusst als die Modernen. So kann sich Schopenhauer damit begnügen, zum Beleg einen Horaz-Vers zu zitieren, in dem der römische Dichter nach der Aufzählung vieler überflüssiger Besitzgüter diejenigen Menschen preist, die auf dergleichen ganz zu verzichten wissen:
«Sunt qui non HABEANT , est qui non curat HABERE .»
[ 2 ] [Manche HABEN nicht, manch einer will gar nicht HABEN .]
    Doch ganz kompromisslos spricht sich Schopenhauer in seinen Aphorismen doch nicht gegen das materielle HABEN aus. Zum Beispiel das Geld. Da bleibt seine Absage weit hinter Horaz zurück, wenn er schreibt: «Dass die Wünsche der Menschen hauptsächlich auf Geld gerichtet sind und sie dieses über alles lieben, wird ihnen oft zum Vorwurf gemacht. Jedoch ist es natürlich, wohl gar unvermeidlich, das zu lieben, was, als ein unermüdlicher Proteus, jeden Augenblick bereit ist, sich in den jedesmaligen Gegenstand unserer so wandelbaren Wünsche und mannigfaltigen Bedürfnisse zu verwandeln.» Von Askese und Verzicht auf das, was man alles HABEN kann oder könnte, ist bei Schopenhauer in diesem Zusammenhang nicht ernsthaft die Rede.
    Sehr viel entschiedener bezieht Schopenhauer Position in der dritten Rubrik seiner Aphorismen zum Thema «Was einer vorstellt». Gemeint ist hier all das, was ein Mensch nicht seiner «eigenen Beschaffenheit» nach, sondern nur in der immer trügerischen Vorstellung anderer Menschen IST oder HAT . Konkret geht es neben Rang und Ruhm hauptsächlich um die Ehre, die ein Mensch je nach seinem Stand HABEN kann oder muss: ritterliche Ehre, bürgerliche Ehre, Sexualehre, Amtsehre und schließlich Nationalehre. In diesem ziemlich umfangreichen Abschnitt seiner Aphorismen erhebt sich Schopenhauers moralistische Prosa zur Freude seiner Leser zu ungeahnten Höhen satirischer und sarkastischer Sprachkunst. Insbesondere seine wunderbar bissige Abrechnung mit dem «Aberglauben» der ritterlichen Ehre sowie seine unbestechliche Entlarvung der verborgenen Machtstrukturen, die der weiblichen und männlichen Sexualehre zugrunde liegen, sind Meisterstücke der moralistischen Eristik oder Streitkunst (für die Schopenhauer ebenfalls eine kleine und sehr lesenswerte Handreichung verfasst hat). Als Beispiel seiner Kunst soll hier nur einer seiner Aphorismenzitiert werden, mit dem er dem Popanz der nationalen Ehre die Luft abschnürt: «Jede Nation spottet über die andere, und alle HABEN RECHT .»[ 3 ]
    Nach diesem kurzen Blick auf die zweite und dritte Rubrik der Aphorismen müssen wir doch noch einmal zur ersten Rubrik zurückkehren, um zu entdecken, wie eng doch das, «was einer IST », mit dem, «was einer HAT », verbunden ist. Da spricht sich Schopenhauer mit deutlichen Worten mehrfach dafür aus, dass SEIN und HABEN für den inneren Haushalt einer heiter gestimmten Persönlichkeit gut abgestimmt zusammenwirken müssen:
    – Immer kommt es darauf an, was einer SEI und demnach an sich selber HABE .
    – Was einer in sich ist und an sich selber HAT , kurz die Persönlichkeit und deren Wert, IST das alleinige Unmittelbare zu seinem Glück und Wohlsein.
    – Denn je mehr einer an sich selber HAT , desto weniger bedarf er von außen und desto weniger auch können die Übrigen ihm SEIN
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