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Über Bord

Titel: Über Bord
Autoren: Ingrid Noll
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Termin mit dem Notar vereinbart werden.
    Dann hat Mama den Klotz am Bein, dachte Amalia, aber immerhin wohnen wir hier umsonst. Man hätte sogar zwei Zimmer vermieten können, aber weder Hildegard noch Ellen wollten fremde Menschen – am Ende gar noch Männer – hier ein und aus gehen sehen, die das Bad mitbenutzten. Und für eine Studentin war die nächste Universitätsstadt einfach zu weit entfernt. Außerdem gab Ellen zu bedenken, dass junge Frauen im Allgemeinen einen Freund hätten, der sich über kurz oder lang einnisten würde. Amalia wagte nicht zu fragen, ob man mit Uwe eine Ausnahme machen könnte.
    Amalias träumerisches Sonnenbad wurde jäh unterbrochen. Ellen kam in den Garten gelaufen und rief: »Zieh dir was über, wir bekommen gleich Besuch!«
    Ihre Tochter schaute träge hoch und hatte wenig Lust, ihr Top gegen ein T-Shirt einzutauschen.
    »Wer denn?«, fragte sie.
    »Ein Mann hat gerade angerufen, ich kenne ihn nicht. Er heißt Dornenvogel oder Dornkaat oder so ähnlich und will etwas Privates besprechen, er tat sehr geheimnisvoll.«
    Jetzt horchte die misstrauische Großmutter ebenfalls auf. »Muss ich mich etwa auch umziehen?«, fragte sie. Ellen musterte ihre alte Mutter, die in ihrem Grünzeug zwar keine besonders gute Figur machte, aber zwischen Moos und Gras nicht weiter auffiel.
    Auch Amalia wollte lieber liegen bleiben, doch ihre Neugier war erwacht. Ein Bote von der Lottogesellschaft?
    »Ist der Dornenvogel aus der Nachbarschaft?«, fragte sie, aber Ellen schüttelte bloß den Kopf und rannte wieder ins Haus, um auf die Schnelle ein wenig aufzuräumen.
    Es klingelte erst eine halbe Stunde später, ein gutaussehender Mann mit Oberlippenbärtchen stand vor der Tür. Er trug Jeans, ein kariertes Hemd, eine sehr schicke Sonnenbrille sowie eine hellbraune Lederjacke und hielt eine schwarze Mappe unterm Arm. Amalia öffnete und erfuhr, dass er Dornfeld heiße und sich bereits angekündigt habe. Wahrscheinlich ist es ein Vertreter, der sich durch einen faulen Trick an meine gutmütige Mutter heranmacht, dachte sie, gleich wird er eine Versicherungspolice herausziehen, am Ende gar einen Staubsauger oder einen Rotwein aus dem Auto holen. Ob er sich das traut, an einem Sonntag?
    Nachdem sich Herr Dornfeld sowie die beiden Frauen auf den Sesseln niedergelassen hatten, fragte Ellen höflich: »Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
    Amalia musste das gewünschte Mineralwasser holen und ärgerte sich. Auch noch Wünsche, der Herr.
    Als auch sie wieder saß und der Fremde einen Schluck getrunken hatte, wurde es wohl langsam Zeit, dass er sein Anliegen vorbrachte.
    »Mein Vater ist schon lange tot, und vor wenigen Wochen ist auch meine Mutter gestorben«, begann er etwas nervös. »Unter ihren nachgelassenen Papieren habe ich ein Tagebuch gefunden, aus dem etwas Unerhörtes hervorgeht. Ich bin anscheinend nicht das Kind meines Vaters, obgleich es in meiner Geburtsurkunde so stand.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause.
    Amalia starrte Herrn Dornfeld gespannt an.
    »Und was hat das mit uns zu tun?«, fragte Ellen ungeduldig.
    »Wir sind wahrscheinlich Geschwister, genau genommen Halbgeschwister«, sagte der Mann, sah Ellen sekundenlang voll ins Gesicht und wurde etwas verlegen.
    Das verschlug Mutter und Tochter erst einmal die Sprache.
    »Verstehe ich richtig? Meinen Sie im Ernst, dass mein Vater auch der Ihre ist?«, hakte Ellen endlich nach. »Gibt es dafür Beweise oder wenigstens Anhaltspunkte?«
    »Zum einen haben meine Eltern erst kurz vor meiner Geburt geheiratet, aber das tut ja nichts zur Sache, und zweitens…«, Herr Dornfeld zog das angebliche Tagebuch aus der Mappe und blätterte darin, »…und zweitens schreibt meine Mutter am Tag meiner Taufe…«:
    Ich bin Walter unendlich dankbar, er liebt den Kleinen wie ein eigenes Kind. Nun habe ich die Hoffnung, dass doch noch alles gut wird. Von Rudi T. ist leider nichts mehr zu erwarten, da er bereits eine eigene Familie hat und im Übrigen jetzt so tut, als hätte ich es bloß auf sein Geld abgesehen.
    Ellen dachte nach. Ihr Vater hieß tatsächlich Rudolf und T. konnte für Tunkel stehen. Sie betrachtete den fremden Mann äußerst misstrauisch und forschte in seinen Zügen nach irgendeiner Familienähnlichkeit.
    »Herr Dornkaat! Wie kommen Sie darauf, dass der erwähnte Rudi T. mein Vater Rudolf Tunkel sein könnte?«, fragte sie in aggressivem Ton. »Sind diese wenigen Sätze der einzige Hinweis?«
    »Ich heiße übrigens Gerd«, sagte der Mann.
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