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Über Bord

Titel: Über Bord
Autoren: Ingrid Noll
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boykottiert oder Ellens Talent hatte nicht gereicht – da gingen die Ansichten auseinander. Nun war sie Sachbearbeiterin beim Einwohnermeldeamt und langweilte sich dort zu Tode. Seit ihrer Scheidung hatte Ellen mit keinem Mann mehr geschlafen, obwohl sie hinter dem Rücken der Familie regelmäßig Kontaktanzeigen las, neuerdings auch im Internet.
    Ellen war ihrem Exmann durch die Lottozahlen auf die Schliche gekommen. Als sie sich kennenlernten, waren beide arm und versuchten, durch das wöchentliche Glücksspiel ihre Finanzen aufzubessern. Die Zahlen waren immer die gleichen: ihre eigenen Geburtstage und die ihrer Mütter. Später wurden sie ausgetauscht gegen die der beiden Töchter. Die fünfte und sechste Zahl überließen sie dem Zufall.
    Eines Tages bemerkte Ellen, dass ihr Mann seit einiger Zeit regelmäßig die Vierzehn eintrug. Sie verkniff sich eine Bemerkung, wartete ab und fragte erst nach mehreren Monaten nach der Bedeutung dieser Zahl. Er stotterte herum, es sei der Geburtstag seiner verstorbenen Großmutter, die er sehr geliebt habe. Vielleicht sehe sie von oben auf ihn herab, fühle sich geschmeichelt und helfe Fortuna auf die Sprünge.
    Aberglaube passte nicht zu ihm. Ellen erkundigte sich irgendwann, als sie zufällig mit ihrer Schwiegermutter telefonierte, nach den Lebensdaten der ominösen Großmutter. Sie war bereits gestorben, als Ellens Mann erst zwei war und hatte am 31. Dezember Geburtstag. Von da an begann sie ihren Mann zu bespitzeln und wurde bald fündig. Ihre eigene Nichte Nina hatte an einem Vierzehnten Geburtstag.
    Ellen ließ sich scheiden, zog zu ihrer Mutter und traute eine Zeitlang keinem Mann mehr über den Weg. Die Typen im Angebot, über die sie sich vorsichtshalber nur anonym informierte, schienen entweder an Sex oder an Geld interessiert zu sein. Oft waren es auch 70-Jährige, verwitwet und vom Haushalt überfordert. Eine weitere Kategorie suchte eine Dame aus gutem Stall oder gar eine mit Kinderwunsch. Leider sah es so aus, dass eine Frau im Klimakterium – selbst wenn sie eine schlanke Nichtraucherin war – sich einen Mann erst backen musste.
    Es war nicht so, dass sie sich in all den Jahren nie verliebt hätte. Bereits während ihrer Ehe hatte sie ein Auge auf einen Kollegen geworfen, später hatte sie sich in den Kinderarzt, einen Friedhofsgärtner und einen jungen Steuerberater verguckt, war aber im Nachhinein froh, dass es nicht zu Intimitäten gekommen war. Ellen wusste zumindest theoretisch, dass man die Männer schnell idealisierte, sowie sie einem ein zweites Mal intensiver in die Augen schauten. Wer sich für mich interessiert, kann eigentlich nur ein wunderbarer Mensch sein, hatte sie geglaubt. Doch der attraktive Kollege hatte mit fast allen jüngeren Mitarbeiterinnen angebändelt und mit seinen Erfolgen geprahlt, der Kinderarzt entpuppte sich als pädophil, der Friedhofsgärtner als verheiratet, der Steuerberater als langweilig und konsumsüchtig. Irgendwann wunderte sich Ellen über sich selbst. Sie mochte den eigenen Instinkten nicht mehr trauen und betrieb das Studieren der Inserate nur zur Unterhaltung, so wie andere Frauen Sudokus und Kreuzworträtsel lösen, Puzzle zusammensetzen oder Patience legen.
    In ihrer Jugend hatte sich Ellen für die deutschen Dichter und Denker der Romantik begeistert. Sie hatten Ellen mit ihrer blauen Blume einen Floh ins Ohr gesetzt. Mörike besang die Insel Orplid, Eichendorff ließ seinen Taugenichts gen Süden aufbrechen, wohin es auch Goethes Mignon zog. Meine Seele spannte weit ihre Flügel aus … So flog Ellen in Gedanken immer wieder nach Italien. Als sich aber in ihren Tagträumen ein charmanter Römer über sie hermachte, hatte sie das so mitgenommen, dass sie sich Buße auferlegte und tagelang die Küchenschränke, Truhen und Kommoden ausräumte, neu ordnete und putzte.
    Bei ihrer Heirat hatte Ellens damaliger Mann Adam ihren Namen angenommen und den eigenen abgelegt, weil Szczepaniak schwierig zu buchstabieren war. Daher hießen alle Frauen im Nonnenkloster Tunkel – Großmutter Hildegard, ihre Tochter Ellen sowie die beiden Enkelinnen Clärchen und Amalia.
    Sowohl Ellen als auch ihre Tochter Amalia arbeiteten in einem acht Kilometer entfernten Städtchen und verließen das Nonnenkloster bereits am frühen Morgen. Ellen fuhr zum Amt und setzte Amalia unterwegs bei der gynäkologischen Praxis ab, wo ihre Tochter als Arzthelferin angestellt war.
    »Heute holt mich Uwe ab«, sagte Amalia zum Abschied. Es war
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