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Tyrann Aus Der Tiefe

Tyrann Aus Der Tiefe

Titel: Tyrann Aus Der Tiefe
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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mit dem die Ruder ins Wasser tauchten, klang gedämpft und wurde vom Rauschen des unablässig fallenden Regens verschluckt. Steve Cranton ließ mit einem erschöpften Seufzen die Riemen los, setzte sich auf und streckte die Arme nach beiden Seiten aus. Sein Rücken schmerzte. Sie ruderten seit fast einer Stunde im Kreis über den kleinen, runden See, und das Boot war schwer vom Regen geworden. Seine Füße, die in schwarzen Gummistiefeln steckten, standen bis zu den Knöcheln im eisigen Wasser, und die Kälte war beharrlich durch die Stiefel und die zwei Paar Wollsocken gekrochen, die er darunter trug. Bis zu den Knien hinauf fühlten sich seine Beine taub an.
    »Müde?«, fragte O’Banyon leise. »Wenn ich dich ablösen soll …«
    Cranton schüttelte den Kopf und griff wieder nach den Rudern, ließ die Hände jedoch reglos auf den Riemen liegen, ohne sie zu bewegen. Das Boot schaukelte sanft auf dem Wasser, und wie zur Antwort auf O’Banyons Frage peitschte der Wind einen neuen Regenschwall heran. Cranton schauderte, als das Wasser unter seinen Regenmantel lief und eisig in seinem Nacken herabrann.
    »Nein«, antwortete er mit einiger Verspätung. »Ich komme mir nur ganz langsam dumm vor, hier im Kreis zu rudern und mich durchnässen zu lassen. Wir sollten aufhören.«
    O’Banyon lachte leise. »Du hast Angst«, behauptete er.
    Cranton starrte sein Gegenüber wütend an. Obwohl sie sich kaum drei Meter entfernt gegenübersaßen, war O’Banyons Gesicht nicht mehr als eine dunkle, konturlose Fläche vor dem noch dunkleren Hintergrund des Sees. Die Wolkendecke war massiv wie eine Mauer und ließ nicht den geringsten Lichtschimmer hindurch.
    »Nein«, schnappte Cranton verärgert. »Ich blamiere mich nur nicht gerne, das ist alles. Wahrscheinlich sitzen sie in Goldspie jetzt alle beisammen in einem Pub und lachen sich einen Ast über uns.«
    »Du hast Angst«, behauptete O’Banyon noch einmal, als hätte er die letzten Worte gar nicht gehört. »Aber jetzt ist es zu spät, mein Lieber.« Er seufzte, kramte einen Moment unter seinem Regenmantel herum und förderte Tabaksbeutel und Pfeife zutage. Cranton sah stirnrunzelnd zu, wie er sich trotz des strömenden Regens bedächtig eine Pfeife stopfte, mit den Händen einen Schutz gegen den Wind bildete und ein Streichholz anriss. Der Tabak fing Feuer, aber er war nass und schmorte nur vor sich hin, statt richtig zu glühen. O’Banyon knurrte etwas, klopfte die Pfeife auf dem Bootsrand aus und steckte sie wieder ein. Dann zog er seine Uhr aus der Tasche, riss ein zweites Streichholz an und versuchte, im flackernden Licht der winzigen Flamme die Stellung der Zeiger abzulesen.
    »Es ist gleich so weit«, sagte er. »Mitternacht. In wenigen Augenblicken.«
    »Und dann kommt es, wie?« Cranton bemühte sich, möglichst viel Spott in seine Stimme zu legen, aber der Unterton von Furcht, der seine Worte begleitete, verdarb ihm den beabsichtigten Effekt. »Das Ungeheuer von Loch Shin – dass ich nicht lache! Mit solchen Geschichten verschrecken sie ihre Kinder, wenn sie nicht schlafen wollen. Oder halten ahnungslose Trottel aus der Stadt zum Narren.«
    »Damit meinst du mich«, sagte O’Banyon kopfschüttelnd. Cranton wollte widersprechen, aber O’Banyon brachte ihn mit einer raschen Bewegung zum Schweigen und schüttelte den Kopf. »Ich nehme es dir gar nicht übel, mein Lieber. Vielleicht würde ich ähnlich denken, wenn ich an deiner Stelle wäre. Aber du hast nicht gehört, was ich gehört habe.«
    »Das Gerede eines Wahnsinnigen«, knurrte Cranton. »Was bedeutet das schon?«
    »Aber er hat ihn beschrieben!« antwortete O’Banyon eindringlich. »So genau, wie nicht einmal ich es gekonnt hätte. Das kann der Mensch sich gar nicht ausgedacht haben, Steve. Ich …«
    Irgendwo, nicht sehr weit entfernt von dem Boot mit den beiden Männern, klatschte etwas auf die Wasseroberfläche. O’Banyon brach mitten im Wort ab, setzte sich pfeilgerade auf und starrte aus zusammengekniffenen Augen in die samtene Schwärze hinaus, die wie eine erstickende Decke über dem See lag. »Was war das?«
    »Dein Ungeheuer«, murrte Cranton. Aber seine Stimme zitterte noch stärker als vorher.
    O’Banyon ignorierte ihn. »Da ist etwas«, murmelte er. »Ich spüre es ganz deutlich …« Er starrte eine weitere Sekunde auf die schwarze Wasseroberfläche hinab, fuhr mit einem Ruck herum und begann mit den Händen zu fuchteln. »Die Lampe!«, rief er. »Schnell, Steve. Und die Kamera!«
    Ein
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