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Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Titel: Turner 02 - Dunkle Vergeltung
Autoren: Heyne
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nach Luft schnappend, als sie sich die Zunge verbrannt hatte. »Es gibt viel zu viele Schlupflöcher.«
    »Die du aber auch nutzen kannst.«
    Ich erinnerte sie an Sally Gene, eine Sozialarbeiterin damals in Memphis. Die Sache fing irgendwann an zu wachsen und immer weiter zu wachsen, hatte mir Sally Gene mal erzählt, dieses ganze System des Kinderschutzes und die dazugehörigen Gesetze - so, wie Leute sich einen Wohnwagen nehmen und anfangen anzubauen, eine Terrasse hier, einen Extra-Raum dort. Ohne Plan. Also fällt die Hälfte um dich herum fast zusammen,
keine der Türen schließt mehr richtig, durch die Fenster fliegt der Staub rein oder raus, je nachdem, wie der Wind gerade steht. Du kannst das für dich nutzen, es kann dich aber auch fertigmachen.
    »Genau«, sagte Val. »Und das, was ich letztendlich erreiche, hat häufig mehr mit Beliebigkeit zu tun als mit Recht und Gesetz. Du stehst da vor einem Richter, du denkst, du hast die Lage im Griff, denkst, du kennst das Gesetz und hast starke Argumente, aber was immer dieser Richter sagt, es ist das letzte Wort in dieser Sache. Sollte irgendein Mensch so viel Macht haben? Letztendlich kannst du nur hoffen, dass der Richter gut geschlafen hat und ihm seine eigenen Kinder am Frühstückstisch nicht auf die Nerven gegangen sind.«
    Wir aßen, dann hielt Val ihre Schüssel hoch wie ein Bettler, der um Almosen bittet. Ich füllte auch meine noch mal bis zum Rand und kehrte auf die Veranda zurück. Die Fliegengittertür hinter mir schlug zu. Val tunkte das Brot ein und ließ es abtropfen.
    »Immer so gesittet. So manierlich.«
    Sie streckte mir die Zunge raus. Ich deutete auf meinen Mundwinkel, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie dort Essen kleben hatte. Was nicht der Fall war.
    »Sehr oft gibt es keine einfache Antwort, keine Patentlösung«, sagte sie.
    »Wir bestehen aber darauf, dass es eine gibt. Ist wohl ein menschliches Bedürfnis, nehme ich an.«
    Eine Weile sprach keiner von uns. Der gespenstische Schrei einer Eule von einem Baum in der Nähe.

    »Das ist wahrscheinlich das Beste, was ich je gegessen habe. Wir sollten für das Kaninchen eine Schweigeminute einlegen.«
    »Das sein Leben gegeben hat …«
    »Kann mir kaum vorstellen, dass es das freiwillig getan hat. Obwohl die Vorstellung höchst faszinierend ist, wie ein Kaninchen an Nathans Hintertür anklopft und sich für den guten Zweck opfert.«
    Als sie mit Essen fertig war, stellte sie die leere Schüssel neben ihrem Stuhl auf den Boden.
    »Sarah ist verloren«, sagte sie. »Und es gibt nichts, was ich dagegen tun könnte. Das Leben mit ihrer Mutter wird ihr zweifellos einen seelischen Knacks versetzen. Ihr Vater ist so gerade eben lebenstüchtig. Zieht immer an, was in seinem Schrank links hängt, und arbeitet sich im Lauf des Monats nach rechts durch, hat seine CDs durchnummeriert und spielt sie der Reihenfolge nach ab. Die Bücher in seinem Regal sind der Größe nach sortiert.«
    »Vielleicht kann sie sich selbst retten.«
    »Vielleicht. Manche von uns schaffen das, stimmt’s? Es sind nur die anderen, die wir nie retten können.«
    Eine knappe Stunde später begleitete ich Val zu ihrem Wagen. Wusste, dass sie nicht bleiben würde, fragte aber trotzdem. Sie zog mich dicht an sich, und wir standen eine Weile in einer stillen Umarmung. Diese Umarmung und die Wärme ihres Körpers, ganz zu schweigen von der Stille, erschienen mir Antwort genug auf alle Fragen, die die Welt mir entgegenschleudern könnte. Vom Dach
schaute uns eine Schleiereule zu, vielleicht dieselbe, die wir zuvor gehört hatten.
    »Fabelhaftes Abendessen«, sagte sie.
    »Fabelhafte Gesellschaft.«
    »Ja. Das bist du.«
    Die Eule und ich sahen zu, als der Volvo zurücksetzte und schließlich die weite Kurve um den See herum und in die Nacht hineinfuhr. Die Eule drehte den Kopf einmal um hundertachtzig Grad, wie ein Geschützturm. Während das Motorengeräusch von Vals Wagen vernehmlich über dem Wasser schwebte, musste ich daran denken, wie ich auf Lonnies Jeep gelauscht hatte, als er das erste Mal um den See herumgefahren war. Ich hatte einen Strauß Iris in den Kofferraum gelegt, wo Val ihre Aktentasche verstaute, und freute mich an der Vorstellung, wie sie die Blumen dort fand.
    In der Flasche war nur noch ein kleiner Rest Glenfiddich.
    Ich schenkte ein, als die Eule wegflog, um ihren Geschäften nachzugehen. Dieser Scotch gehörte mir, und dem wollte ich mich jetzt widmen.
    Ich war fast zwei Jahre auf der Straße gewesen,
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