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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine
Autoren: Hans Kneifel
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Wege gegangen, Herr!« Shechta sagte es ruhig.
    »Du hast recht, Shechta. Weiter ...«, flüsterte Anhetes eindringlich.
    »Und so bewegen sich, wie der fliegende Stein an der Schnur, die Gestirne des Tages und der Nacht umeinander. Der Mond um die Erde, die Erde um Veega und nicht anders, wie man bisher glaubte.«
    »So ist es«, sagte Anhetes kurz.
    »Ich bin überzeugt. Es ist klar und logisch«, sagte der Greis heiser.
    »Es ist die einzig mögliche Art, in der sich die Welten zueinander befinden.«
    »Und«, fragte Shechta, und seiner Stimme war nicht anzuhören, wie er es meinte, »auf welche deiner Welten ziehen sich nun Tot-meres und alle seine Vorgänger zurück?«
    Anhetes schwieg überrascht. Dann sagte er:
    »Die Wissenschaft über die Natur und die über die Welt der Seelen sind Dinge, die sich nicht miteinander verbinden lassen. Niemand weiß, was unsere Seelen, unsere Gedanken und Träume für Wege gehen. Sie können sich weiter voneinander entfernen, als wir denken. Vergiß es nie.«
    »Nein, Herr«, sagte Shechta. »Du gehst heute noch in den Tempel?«
    »Ja. Jetzt gleich.«
    »Die Nacht ist kalt, Herr. Wer soll heute deine Decken wärmen? Fard oder Auben?«
    »Bei den Sternen«, sagte Anhetes verdrossen, »ich weiß es nicht, aber ich brauche Erholung. Schicke Auben hinauf. Ich bin zurück, wenn der Gong wieder schlägt.«
    »Kann ich das Instrument und die Schreibdinge wieder wegschaffen?«
    »Bitte, Shechta. Ich gehe!«
    Anhetes tappte die Bretter der Leiter hinunter, ging über die warmen Steinplatten des oberen Stockwerks und verließ das Haus. Die kleine Gasse nahm ihn auf. Oneg leuchtete jetzt senkrecht auf das Pflaster; ein herrenloser Hund floh, als er die Schritte hörte. Sie wurden weicher, als der Sand in Quadern überging, wechselten in den Schatten eines Vordaches und gingen eine lange Mauer entlang. Sie wies runde Löcher auf, durch die Büsche und Quellen eines Gartens zu sehen waren. Alles lag unter dem gelben Licht Onegs.
    Anhetes ging um die Ecke eines Handelshauses und hörte Gesprächsfetzen, die aus dem oberen Stockwerk drangen. Er lächelte grimmig, als die Frauenstimme mit einem leisen Schrei erstarb. Hundert Schritt weiter stand Anhetes vor der kleinen Tür in einer langen, doppelt mannshohen Mauer.
    Er zog unter dem Mantel einen Dolch hervor, warf ihn spielerisch in die Luft; die Klinge blitzte auf. Dann pochte der Baumeister mit dem Griff in einem bestimmten Rhythmus an die Bronzetür. Nach kurzer Zeit knirschten Ledersohlen im Sand jenseits der Pforte. Anhetes wurde erkannt, und ein junger Priesterschüler ließ ihn herein. Hinter Anhetes schloß sich die Tür.
    Schweigend gingen die Männer, bis die kantigen Umrisse des großen Tempels auftauchten. Inmitten des Hains schlängelten sich aus verschiedenen Richtungen Pfade heran. Sie liefen auf den Tempel Kas zu. Vor dem Bannwall standen regungslos die Wachen. Niemand, der nicht die geheimen Weihen empfangen hatte, durfte sich jenseits dieser Grenze bewegen. Alle sieben Schritt blitzte eine der waagrecht gehaltenen Lanzen auf, die geschliffenen Blätter der Waffen glänzten im Mondlicht.
    »Wer wagt es, den Bannkreis zu betreten?« fragte die Wache ernst.
    »Anhetes, der Oberste Priester der Sternengöttin.«
    »Wie heißt das Wort, das heute Einlaß gewährt?«
    »Stunde des Kaiadlers.«
    »Du kannst passieren, Herr.«
    Anhetes ging zwanzig Mannslängen weiter, bis er vor dem hohen Portal des Zentraltempels stand. Langsam stieg er die achtzehn Stufen hinauf und bewegte die Pranke des Panthers. Das Tier war in schwarzem Glasfluß ausgelegt, die Pranke ließ sich bewegen und löste den Mechanismus aus, der die Torflügel aufschwang. Die Dunkelheit der Halle nahm Anhetes gefangen. Weit vor ihm glühten rote Lichter.
    Das Portal schloß sich wieder mit einem dumpfen Ton, der an die Gegenwart der Göttin erinnerte. Wieder war Anhetes allein. Mit sich, seinen Gedanken und dem schwarzen Standbild der Göttin. Wie ein Schlafwandler ging er weiter, magisch angezogen von den Augen der Göttin Ka.
    Die Augen bestanden aus geschliffenen Steinen, die in dem roten Licht der Kupferkörbe schimmerten und lebendig funkelten. Erstickender Weihrauchnebel umwallte den Fuß des Standbildes. Die Göttin stand aufgerichtet da, schwarz und unnahbar, kalt und drohend. Die vollendet geformten Linien ihres Körpers, die Züge des Antlitzes – es war, als habe die Göttin selbst den Meißel des Künstlers geführt. Drei Stufen trennten den Boden von
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