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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition)
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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Schießereien. Und in einen Mord ist er nicht verwickelt? Na, man kann nicht alles haben.»
    Er glaubte offensichtlich kein Wort von dem, was er da vorgelesen hatte. Klang ja auch nicht sehr glaubwürdig. Und ich war nicht wahnsinnig wild darauf, ihn aufzuklären.
    «Was mich allerdings am meisten begeistert an Herrn Klingenbergs aufregendem Leben, ist nicht diese Räuberpistole hier. Dass er sich Verfolgungsjagden geliefert haben will mit einem – wenn ich mich nicht irre –, mit einem Auto und Herrn Tschichatschow zusammen, nein … Am meisten begeistert mich natürlich seine Formulierungskunst. Wie knapp, wie anschaulich! Denn wie lautet nochmal sein Fazit des ganzen Schwerverbrechens?» Er sah zuerst mich an und dann die Klasse und rief: «Ollös nöch so schlömm!»
    Wagenbach schwenkte den Zettel vor Jennifer und Luisa herum, die das Unglück hatten, in der ersten Reihe zu sitzen. «Alles nicht so schlimm!», wiederholte er und fing selbst an zu lachen. So sehr hatte er sich wahrscheinlich schon lange nicht mehr amüsiert. Wer sich dagegen überhaupt nicht amüsierte, war Tatjana. Das konnte man sehen. Und das nicht nur, weil sie mir den Zettel geschrieben hatte. Sie ahnte schätzungsweise, dass das keine Räuberpistole war, und so guckte sie auch.
    Aber bisher hatte Wagenbach uns nur lächerlich gemacht. Was jetzt noch fehlte, war die Demütigung. Die Predigt. Das blöde Geschrei. Jeder wusste das, jeder wartete darauf, und als Wagenbach die Hand hob, um für Ruhe zu sorgen – kam merkwürdigerweise gar kein Geschrei, keine Predigt, keine Strafe. Stattdessen fiel der Meteorit vom Himmel. Es klopfte an der Tür.
    «Ja!», sagte Wagenbach.
    Voormann öffnete die Tür, der Direktor.
    «Muss mal kurz stören», sagte er. Er schaute sich mit ernster Miene um. «Sind die Schüler Klingenberg und Tschichatschow anwesend?»
    «Nur Klingenberg», sagte Wagenbach.
    Alle hatten sich zur Tür umgedreht, und dort in der offenen Tür war nicht nur Voormann zu sehen. Im Dunkeln hinter Voormann konnte man zwei Uniformen erkennen. Breitschultrige Polizisten in voller Montur, Handschellen, Pistole, alles.
    «Dann soll der Klingenberg mal mitkommen», sagte Voormann.
    Ich stand so lässig wie möglich auf, soweit man mit zitternden Knien lässig aufstehen kann, und warf einen letzten Blick auf Wagenbach. Das dämliche Grinsen war weg. Er sah zwar immer noch ein bisschen aus wie der debile Zeichentrickbär, aber in einem richtigen Zeichentrickfilm hätte man ihm jetzt zwei Kreuze als Augen und eine zerknitterte Wellenlinie als Mund malen müssen. Ich fühlte mich großartig, trotz zitternder Knie. Das hörte allerdings gleich auf, als ich auf dem Gang den Polizisten gegenüberstand.

48
    Voormann wusste eindeutig nicht, was er sagen sollte. Beide Polizisten hatten ausdruckslose Mienen aufgesetzt. Einer kaute Kaugummi.
    «Möchten Sie allein mit ihm sprechen?», fragte Voormann. Der mit dem Kaugummi sah Voormann erstaunt an, hörte kurz mit Kauen auf und zuckte die Schultern. Als wollte er sagen: Uns doch wurscht.
    «Möchten Sie einen Raum, wo Sie ungestört sind?», setzte Voormann nach.
    «Ist nur kurz», sagte Polizist Nummer zwei. «Ist ja keine Vorladung. Wir kommen praktisch nur vorbei, weil wir eh vorbeikommen.»
    Schweigen, Blicke. Ich kratzte mich hinterm Ohr.
    «Ich hab ein Telefonat unterbrochen», sagte Voormann schließlich unsicher. Und im Gehen rief er noch: «Ich hoffe, das klärt sich alles auf!»
    Und dann ging es los. Nummer eins fragte: «Maik Klingenberg?»
    «Ja.»
    «Nauenstraße 45?»
    «Ja.»
    «Du kennst Andrej Tschichatschow?»
    «Ja. Ist ein Freund von mir.»
    «Wo ist er?»
    «In Bleyen. Bleyener Anstalten.»
    «In dem Heim?»
    «Ja.»
    «Hab ich doch gesagt», sagte Nummer zwei.
    «Seit wann?», fragte Nummer eins und guckte mich an.
    «Seit dem Prozess – kurz davor. Also seit zwei Wochen oder so.»
    «Habt ihr Kontakt?»
    «Ist was passiert?»
    «Die Frage lautet: Habt ihr Kontakt?»
    «Nee.»
    «Ich denk, ist dein Freund?»
    «Ja.»
    «Und?»
    Worauf zum Geier wollten die hinaus? «Das ist so ein Heim, wo man die ersten vier Wochen keinen Kontakt haben darf. Die ersten vier Wochen werden die abgeschnitten von der Außenwelt. Müssten Sie doch eigentlich besser wissen.»
    Nummer eins kaute mit offenem Mund. Nach dem geisteskranken Zeichentrickbären war das eine echte Erleichterung. «Was ist denn passiert?», fragte ich.
    «Ein Lada», sagte Nummer zwei. Er ließ das auf mich wirken. Ein
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