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Trügerisches Spiel (German Edition)

Trügerisches Spiel (German Edition)

Titel: Trügerisches Spiel (German Edition)
Autoren: Michelle Raven
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waren die Sehnen deutlich sichtbar. Wenn sie nicht ständig Sport treiben und ihre Muskeln aufbauen würde, hätte man sie mit einem Skelett verwechseln können. Am auffälligsten aber war die lange, schmale Narbe, die über ihre Wange lief. Ebenfalls ein Andenken an die Ereignisse im Fahrstuhl. Vermutlich sollte sie froh sein, dass es nur ein Splitter gewesen war, der sie getroffen hatte, und nicht die Kugel selbst.
    Aber wenn sie sich schon selbst kaum wiedererkannte, würde das sicher auch niemand anders tun. Und das war schließlich Sinn des Zeugenschutzprogramms. Hätte sie gewusst, welche Konsequenzen ihre Aussage im Prozess für sie haben würde, hätte sie es sich anders überlegt. Jocelyn seufzte lautlos. Nein, das hätte sie nicht. Nachdem sie zusehen musste, wie die beiden Anwälte im Fahrstuhl kaltblütig erschossen worden waren, hätte sie es nicht über sich gebracht, nicht dazu beizutragen, den Täter zu einem Leben im Gefängnis zu verdammen. Dummerweise war der Auftraggeber des Mörders, vermutlich ein Mafiaboss namens Antonio Leone, nie vor Gericht gestellt worden und hatte damit die Möglichkeit gehabt, ihr Drohungen zu schicken und mehrmals Anschläge auf sie zu verüben. Nur durch viel Glück war sie nicht ernsthaft verletzt worden.
    Doch da ihm nichts davon nachgewiesen werden konnte, war sie ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden und man hatte ihr damit ihr ganzes bisheriges Leben, all ihre Träume für die Zukunft gestohlen. Sie durfte ihren Bruder weder kontaktieren noch sehen. Während es sich der Verbrecher, der hinter dem ganzen Elend steckte, gut gehen ließ, war sie zu diesem Leben in Einsamkeit verdammt. Sie konnte ihr Studium nicht wieder aufnehmen, weil sie dann zu leicht wiederzuerkennen gewesen wäre, und als Sekretärin wollte sie nicht mehr arbeiten. Also war ihr nur der Job als Aerobic-Lehrerin geblieben, bei dem sie keine großen Kenntnisse außer im Bereich der Aerobic vorweisen musste. Auch wenn ihr der Sport immer Spaß gemacht hatte, war es doch etwas anderes, den ganzen Tag nichts anderes tun zu können. Sie fühlte praktisch, wie ihr Gehirn verkümmerte.
    Am Anfang hatte sie noch gehofft, dass sie nur wenige Wochen oder Monate hierbleiben musste, doch inzwischen sah es so aus, als müsste sie für immer als Hannah Turner leben. Matthew, der US-Marshal, der sie im Zeugenschutzprogramm betreute, hatte versprochen, sich bei ihr zu melden, sowie sie gefahrlos zurückkehren konnte. Bisher war das nicht geschehen. Aber immerhin gab es hier keine Mafia, die sie töten wollte. Als die Musik abrupt endete, kehrte sie aus ihren trüben Gedanken in die Gegenwart zurück und erkannte, dass die Teilnehmer der Gruppe sie seltsam anblickten.
    Jocelyn zwang sich zu einem Lächeln und drehte sich um. »Es sieht so aus, als wäre die Zeit schon wieder um, Ladys. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und bis zum nächsten Mal.«
    Die Frauen zwischen zwanzig und fünfundsechzig verabschiedeten sich von ihr und verließen lachend und plaudernd das Studio. Jocelyn ging zum Fenster und blickte hinaus in die Sommersonne. Inzwischen war es schon fast ein Jahr her, seit sie an diesem verhängnisvollen Tag in den Fahrstuhl getreten war. Wie oft hatte sie sich gefragt, warum sie damals nicht einfach die Treppe genommen hatte. Aber es war geschehen und ließ sich nicht mehr rückgängig machen.
    Sie hatte sich Mitchell ausgesucht, weil es eine kleine, überschaubare Stadt war, in der es kaum je ein Verbrechen gab. Und weil dort ein Aerobic-Lehrer gesucht wurde. Allerdings gab es kein richtiges Fitnessstudio im Ort, sondern es war ein Raum in der Secondary School umgebaut worden, der sowohl den Schülern als auch nachmittags den Einwohnern des Orts für sportliche Betätigung zur Verfügung stand.
    Kopfschüttelnd begann Jocelyn damit, die Matten wieder an ihrem Platz an der Wand aufzustapeln. Sie konnte froh sein, überhaupt einen Job bekommen zu haben, schließlich hatte sie in ihrer neuen Identität außer einem Highschool-Abschluss nichts vorzuweisen.
    »Hannah?«
    Es dauerte einen Moment, bis Jocelyn registrierte, dass sie gemeint war. Sie drehte sich zur Tür um und lächelte, als sie Gayle Summers erkannte, die als Sportlehrerin in der Schule arbeitete. »Hallo Gayle. Hast du Feierabend?«
    Gayle nahm sich auch eine Matte und trug sie zum Stapel hinüber. »Ja, Gott sei Dank. Du glaubst nicht, wie anstrengend Teenager sein können.«
    »Doch, das tue ich. Schließlich habe ich auch einige
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