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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel
Autoren: Marc Hoepfner
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Fünfrubelschein in der Hand hielt, Geld, das sie noch nicht einmal verdient hatte und das spätestens bis Ende der Woche in Bier, Wodka und Tabak umgesetzt sein würde. Nein, diesmal nicht, diesmal würde sie ihn zwingen, zu Hause zu bleiben und ein wenig zu leiden! Aus einem Versteck in der Ecke hinter dem Kerosinofen zog sie ihren Schatz hervor, eine kleine, erst heute angebrochene Flasche Vogelbeerwodka. Die verführerisch aussehende Flasche mit dem medaillenverzierten Etikett der Firma Schustov war ihr von einem deutschen Pumpenmacher in der Bazarstraße verehrt worden. Der Handwerker hatte die Hebamme angetrunken und erregt empfangen und ihr das kostbare Geschenk mit den besten Wünschen für den glücklichen Ausgang der Geburt in die Hand gedrückt, als sie kaum zur Tür hineingetreten war. Solide Ehemänner waren Sonjas Erfahrung nach nervlich nicht weniger an der Entbindung beteiligt als die Gebärenden selbst. In diesem Fall brachte die robuste Mutter sogar Drillinge zur Welt. Der Deutsche erlitt einen Ohnmachtsanfall, und die Kotusova vermutete, daß der Pumpenmacher Langner nicht so großzügig gewesen wäre, hätte er die segensreiche Fruchtbarkeit seiner Frau vorausgesehen.
       Die Hebamme füllte zwei Gläser mit dem Getränk, an dem sie sich im Laufe des Tages schon mehrfach gelabt hatte, leerte sie nach kurzem Zögern beide, schließlich erforderte ihr Plan eine gewisse Entschlossenheit. Dann goß sie etwas Ammoniakgeist, den sie sonst zum Putzen verwendete, in eines der Gläser und verzog kurz das Gesicht, weil ihr der beißende Geruch der Flüssigkeit wie immer Tränen in die Augen getrieben hatte.
       Nicht zuviel, nur nicht zuviel!, dachte sie ängstlich. Die Hebamme wußte nicht, in welcher Dosis Ammoniak tödlich war, das hatten die Zeitungen, die regelmäßig von Selbstmorden mit dem Haushaltsmittel berichteten, diskret verschwiegen. Aber sie war zuversichtlich, daß dieses Quentchen Ammoniak, das nicht einmal ausgereicht hätte, den Nachttopf anständig zu reinigen, einen Mann, der zwei Flaschen Wodka am Tag vertrug, nicht umbringen konnte. Eine Mörderin wollte die Kotusova gewiß nicht sein. Sie dachte nicht einmal an die Möglichkeit. Sorgen machte ihr vielmehr die Befürchtung, ihr Mann könne den Ammoniakgeist riechen, noch bevor er dem Reflex folgte, der ihn mit Alkohol gefüllte Gläser in der Reichweite seiner Arme um jeden Preis zu leeren hieß.Hier mußte sie ihrem Schicksal vertrauen. Noch ein Schlückchen und noch ein Schlückchen, aber Sonja war der stechende Geruch selbst schon in die Nase gestiegen, sie schmeckte nicht mehr, was sie trank. Die Hebamme stellte die Flasche zusammen mit dem einladenden Glas auf den Holzschemel neben das Bett.
       Dann fiel ihr Blick erneut auf den Fünfrubelschein, den sie eben noch widerwillig zerknüllt und auf den Boden geworfen hatte, und sie begann sich rasch anzukleiden.
      
       Das Haus mit der Nummer 9 war das häßlichste in der ganzen Stummstraße. Schief lehnte es sich mit seinem bröckelnden Putz, den faulenden Fensterläden und dem vor kurzem eingefallenen Dach gegen die Straße, wie ein draufgängerischer Raufbold, der sich nach einer durchzechten Nacht und ein paar zünftigen Schlägereien mit ramponiertem Gesicht am Tresen einer Schankstube flegelt und das Abenteuer für noch nicht beendet erklärt.
       Es war schon fast dunkel. Zwei hohlwangige Mädchen führten einen zerlumpten alten Mann durch die Straße. Er zitterte und murmelte wirr vor sich hin. Eine Gruppe halbwüchsiger Eckensteher mit blankgewichsten Stiefeln und zu kurzen Hosen steckte in einem Hauseingang rauchend die Köpfe zusammen, und ein paar betrunkene Huren entblößten ihre schlaffen Brüste Männern mit haßerfüllten Augen, die vor dem überfüllten Übernachtungsheim gegenüber Schlange standen.
       Wie schön ein Abend in unserem Viertel doch sein kann, dachte die Hebamme bewegt von der Geschäftigkeit der Straße, inspiriert von ihrem Plan und den diversen Gläsern Vogelbeerwodka.
       »Das Leben ist ein wahres Wunder«, flüsterte sie kichernd, wie sie es manchmal, scheinbar überwältigt, in schauspielerischer Manier nach einer Geburt tat, um die Großzügigkeit ihrer Kunden zu beflügeln. In ihren Gedanken wiederholte sie zum soundsovielten Male das Bild ihres Mannes, der das Glas mit dem vergifteten Wodka ansetzte und gierig hinunterstürzte.
       Er wird leiden wie ein Hund, dachte sie, das Geld bleibt im Hause, und ich pflege ihn ein
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