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Trias

Titel: Trias
Autoren: Marc Kayser
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sah er auf. Seine auffällig blauen Augen hatten die Farbe eines Saphirs und gaben dem etwas pausbäckigen Gesicht den Ausdruck eines unschuldigen Kindes.
    Zwei Tage zuvor war Croy hierher abkommandiert worden. Obwohl europäische Widerstandsgruppen übers Internet ihre alljährlichen Drohgebärden gegen den Weltwirtschaftsgipfel ausstießen und sich mehrfach zu so genannten Initiativtreffen versammelt hatten, war der Aufenthalt für den Kriminaldirektor normaler Alltag.
    Seine Gespräche mit beflissenen lokalen Sicherheitschefs über die erforderlichen Abwehrmaßnahmen waren öde und vorhersehbar. Zwar hatten die Beamten aus Mecklenburg das Recht, Vorschläge zu machen; doch es war klar, dass nicht hier, sondern in Berlin und Washington die Entscheidungen zu Art und Weise der Sicherheitsvorkehrungen fielen.
    Die Anschläge auf Rumpf und Kirijenko waren noch nicht bis zu Croy vorgedrungen. Als sein Videotelefon klingelte, war Kaltenborn in der Leitung. Die Stimme des BKA-Vizepräsidenten klang rau und belegt. Sein Gesicht war blass, die Nasenflügel bebten. Er kam gleich zur Sache.
    »Wir und die Russen haben vor nicht ganz einer Stunde jeweils eine Nummer zwei bei einem GAU verloren. Machen Sie sich morgen früh auf den Weg zurück nach Berlin. Wir brauchen Sie hier.«
    Croy war augenblicklich klar, was diese Nachricht bedeutete. Doch ehe er auch nur den Hauch einer Chance hatte, Näheres in Erfahrung zu bringen, war die Leitung wieder getrennt. Er kannte diese Attitüde seines Chefs, doch heute störte sie ihn nicht nur, heute verwünschte er sie.
    Hastig schaltete er einen Nachrichtensender ein. Doch statt einer Live-Sendung berichtete nur ein Laufband über das Attentat in Ostsachsen und den Flugzeugabsturz über Sibirien. Die Informationen waren anscheinend noch spärlich und ungenau.
    Croys Gedanken kreisten um die nahe Vergangenheit. Unzählige Male hatten Kaltenborn, andere Kommissare und er wie Feldherren um ein Sandkastenmodell vor Flipcharts gestanden und mögliche Gefährdungen und ihre Verhinderung durchgespielt. Der Nahe Osten war längst nicht mehr das alleinige Zentrum gewaltbereiter Terroristen. Es waren vor allem die neu entstandenen Terrornester in Westeuropa, die die Ermittler der europäischen Polizeibehörden um den Schlaf brachten. Täterprofile, Zusammenfassungen von Attentaten aus früheren Jahren, Ermittlungsberichte ausländischer Dienste und Verhörprotokolle geständiger Terroristen und Gewalttäter: all das hatten sie über Monate hinweg gelesen, referiert und analysiert.
    Er musste mehr erfahren über die Attentate. Er konnte nicht bis morgen warten. In diesem Hotel fühlte sich der BKA-Kommissar wie ein Pensionär, der seine besten Zeiten hinter sich hatte.
    Er bestellte beim Zimmerservice einen halben Liter Weißwein und wählte dann Kaltenborns Nummer.
    »Am Apparat.«
    »Croy hier. Das ging mir eben alles zu schnell. Erzählen Sie mir mehr über den Anschlag!« Seine Stimme vibrierte.
    »Schon gut«, sagte sein Vorgesetzter tonlos, »ich musste mich selbst erst mal sammeln. Das Bundeskanzleramt reagiert ziemlich kopflos. Sprado macht uns, dem Verfassungsschutz und dem BND die Hölle heiß. Sie erwartet möglichst bis morgen eine Aufklärung der Sache. Die Generalbundesanwältin wird wohl unserer Behörde die Ermittlungen übergeben. Wir haben, denke ich, die meisten Erfahrungen mit Terroranschlägen dieser Art.«
    Croy lief im Zimmer wie ein hungriges Tier auf und ab. »Weiß man schon etwas über die Bombe?«
    »Ich warte auf einen ersten Bericht. Unser Verbindungsmann im Auswärtigen Amt stellt mir im Augenblick die Namen derer zusammen, die zuletzt mit Rumpf und seinem Adlatus Kontakt hatten.«
    »War Rumpf verheiratet?«, fragte Croy.
    »Ja. Sie arbeitet im gleichen Haus als Botschaftsrätin, Abteilung Südostasien. Wieso?«
    »Dann waren beide Geheimnisträger«, folgerte der Kommissar. »Ist sie auch gefährdet?«
    »Wissen wir noch nicht«, sagte Kaltenborn wahrheitsgemäß. »Möglich ist alles. Rumpf war übrigens eine ganz große Nummer bei der Aufdeckung des Visa-Skandals. Erinnern Sie sich? Ist etwa sechs Jahre her. Damals verteilten die Grünen Visa an Osteuropäer wie Süßigkeiten an Kinder. Angeblich gab Rumpf der politischen Opposition die entscheidenden Tipps. Das Ergebnis kennen wir.«
    »Schadete den Grünen schwer und belastete die Jahre danach das Verhältnis zur Ukraine, Russland und Weißrussland«, wusste Croy. »Aber ist das nicht zu lange her für einen
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