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Traumpfade

Traumpfade

Titel: Traumpfade
Autoren: Bruce Chatwin
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Personal hatte, übernahm ich bei einem Kaiserschnitt die Rolle des Anästhesisten. Als nächstes schloß ich mich einem Geologen an, der in den Bergen am Roten Meer nach Mineralien suchte.
    Dies war das Land von Nomaden, die Nomaden waren die Beja: Kiplings »Wuschelköpfe«, die sich den Teufel um die ägyptischen Pharaonen oder die britische Kavallerie in Omdurman scherten.
    Die Männer waren groß und schlank, und sie trugen sandfarbene Baumwollstoffe, über der Brust zu einem X gefaltet. Mit Schutzschildern aus Elefantenhaut und »Kreuzritter«-Schwertern, die an ihren Gürteln baumelten, kamen sie in die Dörfer, um ihr Fleisch gegen Getreide zu tauschen. Auf die Dorfbewohner sahen sie herab, als wären sie andere Lebewesen.
    Im frühen Licht des Morgengrauens, wenn die Geier auf den Spitzen der Dächer ihre Flügel spreizten, beobachteten der Geologe und ich die Männer bei ihrer täglichen Körperpflege.
    Sie rieben einander parfümiertes Ziegenfett ins Haar, drehten es dann zu Korkenzieherlocken und formten einen butterartigen Sonnenschirm daraus, der, statt eines Turbans, verhindern sollte, daß ihnen das Hirn zerfloß. Gegen Abend, wenn das Fett geschmolzen war, fielen die Locken wieder zurück und bildeten ein festes Kissen.
    Unser Kameltreiber war ein Spaßvogel mit Namen Mahmoud, dessen Haarwust noch gewaltiger war als der der anderen Männer. Als erstes stahl er das Geologenhämmerchen. Dann ließ er sein Messer liegen, damit wir es stahlen. Und dann tauschten wir sie unter johlendem Gelächter wieder aus und wurden auf diese Weise gute Freunde.
    Als der Geologe nach Khartum zurückkehrte, nahm Mahmoud mich mit in die Wüste, wo wir nach Felszeichnungen suchten.
    Das Land östlich von Derudeb war verblichen und ausgedörrt, und es gab lange graue Klippen und Dom-Palmen, die in den Wadis wuchsen. Die Ebenen waren mit windgestutzten Akazien gesprenkelt, die in dieser Jahreszeit keine Blätter hatten, mit langen, weißen, Eiszapfen ähnelnden Dornsträuchern und übersät mit gelben Blumen. Bei Nacht, wenn ich wach unter den Sternen lag, erschienen mir die Städte des Westens traurig und fremd – und die Anmaßungen der »Kunstwelt« idiotisch. Hier dagegen hatte ich das Gefühl, heimgekehrt zu sein.
    Mahmoud unterwies mich in der Kunst des Fährtenlesens im Sand: Gazellen, Schakale, Füchse, Frauen. Wir verfolgten und sichteten eine Herde wilder Esel. Eines Nachts hörten wir das Husten eines Leoparden in der Nähe. Eines Morgens schlug er einer Puffotter, die sich unter meinem Schlafsack zusammengerollt hatte, den Kopf ab und hielt sie mir auf der Spitze seiner Schwertklinge entgegen. Nie habe ich mich neben einem anderen Menschen so sicher und zur gleichen Zeit so unzulänglich gefühlt.
    Wir hatten drei Kamele, zwei zum Reiten und eins für die Wasserschläuche, doch meistens zogen wir es vor zu laufen. Er ging barfuß, ich trug Stiefel. Nie habe ich etwas Ähnliches gesehen wie die Leichtigkeit seines Schritts, und er sang im Gehen: fast immer war es ein Lied über ein Mädchen aus dem Wadi Hammamat, das lieblich war wie ein grüner Wellensittich. Die Kamele waren sein einziger Besitz. Er hatte keine Herde und wollte keine. Er war gegen alles gefeit, was wir »Fortschritt« nennen würden.
    Wir fanden unsere Felszeichnungen: ockerrote Strichmännchen, eingeritzt in einen Felsvorsprung. In der Nähe war ein langer flacher Stein, der an einem Ende gespalten und dessen Oberfläche mit Einkerbungen bedeckt war. Das, sagte Mahmoud, sei der Drache, dem Ali den Kopf abgeschlagen habe.
    Er fragte mich mit einem boshaften Grinsen, ob ich zu den Gläubigen gehörte. In den zwei Wochen sah ich ihn nie beten.
    Später, nach meiner Rückkehr nach England, entdeckte ich eine Fotografie von einem als Relief auf einem ägyptischen Grabmal der Zwölften Dynastie in Beni Hassan eingemeißelten »Wuschelkopf«: ein mitleiderregendes, ausgemergeltes Gesicht, das den Bildern von den Opfern der Dürre in der Sahelzone glich und deutlich dem von Mahmoud ähnelte.
    Die Pharaonen waren verschwunden: Mahmoud und sein Volk hatten überdauert. Ich hatte das Gefühl, daß ich das Geheimnis ihrer zeitlosen und respektlosen Lebenskraft ergründen mußte.
    Ich gab meine Stellung in der »Kunstwelt« auf und kehrte in die trockenen Regionen zurück: allein, mit leichtem Gepäck. Die Namen der Stämme, mit denen ich herumzog, sind unwichtig: Rguibat, Qashgai, Taimanni, Turkmenen, Bororo, Tuareg – Menschen, deren Reisen anders als
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