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Transit

Transit

Titel: Transit
Autoren: Anna Seghers
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orientierte literarische Gestaltung, die sich aller vorhandenen ästhetischen Mittel bedienen und mit neuen experimentieren müsse, um sowohl dem epochalen Grunderlebnis der von Faschismus und Krieg geprägten Zeit gerecht zu werden, als auch wirklich überzeugende antifaschistische Literatur zu schaffen. In einem dieser Briefe fällt dabei der Satz: Diese Realität der Krisenzeit, der Kriege usw. muß […] erstens ertragen, es muß ihr ins Auge gesehen und zweitens muß sie gestaltet werden. Damit formulierte Seghers die doppelte Aufgabe, die wenig später auf die Autorin von Transit zukam: in einer völlig aus den Fugen geratenen und vom Untergang bedrohten Welt die eigene Identität, auch als antifaschistische Schriftstellerin, zu bewahren und zu sichern, und neue Schreibweisen und Erzählformen zu finden, die es erlaubten, nach eigenem Verständnis realistisch zu erzählen.
    Im Vorfeld von Transit hat Seghers verschiedene Versuche unternommen, diese doppelte Aufgabe anzugehen. Die Sammlung von neun kurzen Prosastücken, die sie 1939 unter dem Titel Reise ins Elfte Reich veröffentlichte, gestaltet Alltagserfahrungen von Emigranten auf humoristisch-skurrile Art, verfremdet im Grundmotiv der verkehrten Welt. So ist die wichtigste Voraussetzung für die Einreise in das phantastische Exilland, keine Papiere, Pässe und Visa zu besitzen, und Orden sind dort Zeichen unerledigter, im Laufe des Lebens zu erfüllender Verpflichtungen, die Stück für Stück abgelegt werden.
    1940 entstand der Zyklus Die drei Bäume mit drei Kurzprosastücken, die historisch-mythische Stoffe aufgreifen, in denen Verlassenheit, Todesangst und Fremdheit zwischen ehemals Vertrauten thematisiert werden.
    Die Erzählung Das Obdach (1941) verarbeitet zweifellos am unverstelltesten reale Begebenheiten; eine Französinnimmt im besetzten Paris das Kind deutscher Emigranten auf und rettet dadurch sein Leben. Der Bestand des »gewöhnlichen« Lebens inmitten äußerster Bedrohtheit wird hier gezeigt – dieselbe Funktion hat übrigens die Familie Binnet für den Erzähler in Transit.
    Diese drei Gestaltungsmomente – das Motiv der verkehrten Welt, historisch-mythische Stoffe und reale Begebenheiten – vermischen sich in Transit zu einem Kunstwerk von unentwirrbarer und verwirrender Struktur, deren Zentrum die Figur des Ich-Erzählers bildet – genauso kunstvoll zusammengesetzt wie die ganze Geschichte.
    Der Erzähler gibt sich als junger deutscher Antifaschist aus, der 1937 aus einem deutschen Konzentrationslager und nach der Besetzung Frankreichs durch die Wehrmacht aus einem französischen Internierungslager geflohen war. Mit falschen Papieren auf den Namen Seidler und – durch einen Zufall – mit der Hinterlassenschaft des Schriftstellers Weidel ausgestattet, gelingt es ihm aufgrund verschiedener Umstände, eine Passage nach Übersee zu bekommen, die er jedoch zurückgibt, weil er sich entschieden hat zu bleiben. Nahezu alle den Erzähler und auch andere Figuren betreffende Handlungsmomente sind nach dem Prinzip der verkehrten Welt strukturiert: ohne Anstrengungen erhält der Erzähler Papiere und eine Passage; er bleibt im besetzten Land, während alle anderen verzweifelt nach Fluchtmöglichkeiten suchen; die Flucht bringt dem Arzt und Marie nicht die Rettung, sondern den Tod usw. In dieser verkehrten Welt muß, wie im Märchen, das Richtige getan werden, um von einem zerstörerischen Zauber erlöst zu werden; dies gilt für den Erzähler wie auch für die anderen Figuren. Am Beispiel des Erzählers zeigt sich am deutlichsten, was das Richtige ist: er muß lernen, Echtes von Unechtem zu unterscheiden, und als wichtigsten Wert in der flüchtigen, egoistischen Transit-Welt muß er Solidarität bewahren – deren Symbol letztlich sein Anteil an der Rettung des im Spanienkrieg verwundeten KommunistenHeinz ist –, wenn er sich selber nicht verlieren will.
    Der Erzähler ist namenlos; seine wirkliche Identität bleibt hinter den Masken verschiedener Identitäten verborgen, die nichts anderes sind als eine für die jeweilige Behörde zusammengestellte Sammlung von Papieren. Seine wahre Identität, der Kern seines Menschseins, droht ihm verlorenzugehen in dem Maße, wie er sich auf die Flüchtigkeit des Transitwesens einläßt. Daß er sich doch nicht verliert, verdankt er auch den Gesprächen und Begegnungen mit Mitemigranten und französischen Freunden. Seine Entwicklung von einem, der permanent auf der Flucht ist, zu dem, der bleiben und um
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