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Totgeschwiegen

Totgeschwiegen

Titel: Totgeschwiegen
Autoren: Brenda Novak
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möglich war, vor den eigenen Problemen wegzulaufen. Dennoch konnte sie
immer noch
kein ganz normales Leben führen.
    “Ich hatte eben Glück”, sagte sie schlicht.
    Er warf einen Blick zum Haus. “Kommst du mit rein?”
    Sie vernahm den hoffnungsvollen Unterton in seiner Stimme und warf einen Blick zur Veranda, auf deren Stufen sie früher immer gesessen hatten, wenn ihre Mutter ihnen aus der Bibel vorlas. Reverend Barker hatte darauf bestanden, dass sie sich jeden Abend eine Stunde lang mit der Bibel beschäftigten. Es war sicherlich keine schlechte Erfahrung. Die kleine Grace hatte mit einem Glas Limonade in der Hand dagesessen und gespürt, wie die Sommerhitze sich langsam abschwächte. Sie lauschte der melodischen Stimme ihrer Mutter, während der Schaukelstuhl auf den knarrenden Dielen hin- und herwippte und die Mücken im Licht der Laterne tanzten. Sie hatte diese Abende geliebt. Bis ihr Stiefvater nach Hause kam.
    “Nein, ich … ich muss weiter.” Sie trat ein paar Schritte zur Seite. Clay war noch immer auf der Hut, genau wie früher. Sie wusste, sie würde keine weiteren Erinnerungen mehr verkraften.
    “Wie lange bleibst du?”
    Sie zögerte, bevor sie antwortete. “Ich weiß nicht.”
    Er verzog das Gesicht und sah jetzt sehr rau aus. Ganz offensichtlich machte das Familiengeheimnis auch ihm arg zu schaffen. “Warum bist du zurückgekommen?”, fragte er.
    Sie kniff die Augen zusammen. “Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser wäre zu erzählen, was damals passiert ist.”
    “Woher willst du wissen, dass das besser wäre?”
    “Weil ich seit fünf Jahren nach den Wahrheiten im Leben anderer Menschen suche und die Leute auffordere, Verantwortung zu übernehmen.”
    “Und bist du sicher, dass du immer den richtigen Täter findest und er eine angemessene Strafe bekommt?”
    “Wir müssen in unser Rechtssystem vertrauen, Clay. Sonst fällt die ganze Gesellschaft auseinander.”
    “Und wer soll für das einstehen, was hier passiert ist?”
    Für den Mann, dessen Leiche wenige Meter entfernt begraben lag.
    “Warum bist du nicht schon früher gekommen?”
    “Aus dem gleichen Grund, der dich dazu bringt, noch immer mit einem Gewehr in der Hand über diesen Ort zu wachen.”
    Er musterte sie einige Sekunden lang. “Klingt so, als müsstest du eine schwerwiegende Entscheidung treffen.”
    “Ja. So ist es wohl.”
    Keine Antwort.
    “Willst du nicht versuchen, mich davon abzubringen?”, fragte sie mit einem unfrohen Lachen.
    “Tut mir leid. Diese Entscheidung musst du schon alleine fällen.”
    Sie hasste diese Antwort, und beinahe hätte sie es ihm gesagt. Am liebsten hätte sie jetzt einen Streit vom Zaun gebrochen, doch Clay wechselte das Thema, bevor sie noch etwas sagen konnte.
    “Hast du gekündigt?”, fragte er.
    “Nein, ich habe mir freigenommen.” Sie hatte in fünf Jahren kein einziges Mal gefehlt. Sie hatte zwei Monate Urlaub angespart, und wenn der verbraucht war, konnte sie immer noch unbezahlten Sonderurlaub nehmen.
    “Da hast du dir ja einen interessanten Ort ausgesucht für deine Ferien.”
    “Du bist schließlich auch hier.”
    “
Ich
habe gute Gründe.”
    Er nahm ihr nicht übel, dass sie gegangen war. Sie spürte seine Erleichterung darüber, dass sie all dem entronnen war. Es wäre ihm lieber gewesen, sie wäre weggeblieben und hätte ihn, Stillwater und alles andere vergessen.
    Seine Rücksicht machte ihr zu schaffen, denn genau das wünschte sie sich auch. “Du könntest doch auch hier weg”, murmelte sie, obwohl sie wusste, dass das nicht stimmte.
    Er kniff die Lippen zusammen und presste hervor: “Ich habe meine Entscheidung getroffen.”
    “Du bist wirklich furchtbar störrisch”, sagte sie. “Wahrscheinlich wirst du dein ganzes Leben hier verbringen.”
    “Wo bist du untergekommen?”, fragte er.
    “Ich hab das Haus von Evonne gemietet.”
    “Dann weißt du es also schon.”
    Grace spürte den Schmerz in ihrer Brust. “Molly hat mich angerufen, als sie starb.”
    “Molly war auch bei ihrer Beerdigung.”
    “Molly findet immer wieder Gründe, hierherzukommen”, verteidigte sie sich, obwohl er sie gar nicht angegriffen hatte. Sie hätte sich gern genauso verhalten wie ihre Schwester. Molly kam und ging und benahm sich so, als wäre nie etwas geschehen. Aber Grace konnte die Widersprüche nicht ertragen. “Ich habe mitten in einer wichtigen Gerichtsverhandlung gesteckt.” Das war nicht gelogen. Aber sie wäre auch nicht gekommen, wenn es ihr
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