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Totgeschwiegen

Totgeschwiegen

Titel: Totgeschwiegen
Autoren: Brenda Novak
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danach zumute war, ging sie keinen Schritt auf ihn zu. Ihre Beziehung war viel zu … kompliziert.
    “Grace! Du bist seit dreizehn Jahren weg! Ich erkenne dich kaum wieder! Du bist wirklich unvorsichtig. Ich hätte dich glatt über den Haufen schießen können”, fügte er grimmig hinzu.
    Und wenn schon, dachte sie. Wie schnell es doch gehen könnte.
Es bräuchte nur eine einzige Kugel …
    “Wirklich?”, murmelt sie stattdessen. “Ich hab dich sofort wiedererkannt.” Vielleicht, weil sie so oft an ihn gedacht hatte. Abgesehen davon hatte er sich wirklich nicht sehr verändert. Sein dichtes Haar war immer noch schwarz – dunkler noch als Grace’ eigene Haare – und fiel ihm widerspenstig in die Stirn. Seine ernsten dunklen Augen, die ihren eigenen so sehr ähnelten, seine ausgeprägten Wangenknochen, seine Muskeln, die seither noch kräftiger geworden waren. Neben ihm fühlte sie sich mit ihren ein Meter fünfundsechzig und den fünfundfünfzig Kilo Gewicht ziemlich klein. Aber abgesehen davon ähnelten sie einander sehr.
    “Ich dachte, du schläfst schon”, sagte sie.
    “Ich habe dein Auto kommen sehen.”
    “Immer auf der Hut.”
    Falls er den ironischen Unterton in ihrer Stimme bemerkt haben sollte, reagierte er jedenfalls nicht darauf. Aber er warf einen kurzen Blick auf die alten Bäume, unter denen sich das Grab ihres Stiefvaters befand.
    Nach einem peinlichen Moment des Schweigens sagte er: “Das Leben in Jackson scheint dir zu bekommen. Du siehst gut aus.”
    Sie war tatsächlich gut zurechtgekommen in der großen Stadt. Jedenfalls bis zu dem Moment, als George E. Dunagan ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Als er das zum dritten Mal tat und sie sich immer noch nicht zu einem Ja entschließen konnte, war ihre Beziehung zerbrochen. Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicher, als mit ihm zusammen zu sein. Und weil er das wusste, hatte er ihr nach seinem letzten Antrag zu verstehen gegeben, dass er sie erst wiedersehen wollte, wenn sie eine Therapie hinter sich gebracht hatte. Sie sollte die Probleme lösen, die in ihrer Kindheit begründet lagen.
    Sie ging tatsächlich zu einer Therapeutin, doch das brachte nichts. Es gab einfach viel zu viele Themen, über die Grace nicht reden wollte oder konnte – nicht einer Therapeutin und auch nicht George gegenüber. Und obwohl er dann einlenkte und sie wieder anrief, standen Grace’ Probleme weiterhin zwischen ihnen.
    Sie hoffte inständig, dass es damit bald vorbei sein würde. Sie hatte sich vorgenommen zu handeln. Entweder würde sie die Vergangenheit besiegen oder die Vergangenheit würde sie besiegen. Der Ausgang war offen, das Ergebnis unsicher, aber sie würde erst dann nach Jackson zurückkehren, wenn sie mit Stillwater ins Reine gekommen war.
    “Ich komme ganz gut zurecht.”
    “Mom hat erzählt, dass du auf der Uni die Beste deines Jahrgangs warst.”
    Das war jetzt sechs Jahre her … Sie lächelte unbestimmt. Es schien ihn zu beeindrucken. Sie selbst war nie sehr lange mit dem zufrieden, was sie erreicht hatte. “Ist schon erstaunlich, was man alles schaffen kann, wenn man sich ganz auf sich selbst konzentriert.”
    “Und du hast dir natürlich die tollste Uni ausgesucht”, stellte er fest.
    Zwei Tage nach ihrem Abschluss an der Highschool in Stillwater hatte sie ihre Heimatstadt verlassen und als Kellnerin in einem Imbiss in Jackson angefangen. Nebenbei hatte sie zwei Jahre lang jede freie Minuten genutzt, um für ihre Aufnahmeprüfung zu lernen. Als sie dann ein regelrechtes Traumergebnis bei der Prüfung erzielte, schien sich niemand mehr für ihren Notendurchschnitt im Schulabschlusszeugnis zu interessieren. Zunächst studierte sie an der University of Iowa und konnte schließlich einen der begehrten Studienplätze an der Georgetown University ergattern.
    Aber warum sollte sie all das hier und jetzt mit ihrem Bruder Clay diskutieren? Sie dachte nicht oft an das College zurück. Damals hatte sie nur drei bis vier Stunden pro Nacht geschlafen. Alle anderen hatten es irgendwie geschafft, das Studium
und
ihr Privatleben einigermaßen zu vereinbaren, Grace hingegen lernte die ganze Zeit. Sie wollte einen guten Abschluss machen, und dafür musste alles andere zurückstehen.
    Sie hatte versucht, ihre Vergangenheit zu bewältigen, indem sie besser war als alle anderen. Aber nachdem sie die Universität hinter sich gelassen und fünf Jahre lang im Büro des Bezirksstaatsanwalts gearbeitet hatte, war ihr klar geworden, dass es einfach nicht
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