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Totgesagt

Totgesagt

Titel: Totgesagt
Autoren: Brenda Novak
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ihn danach anzeigen, und …
    Mit einem Male erschien vor ihrem Auge das kreidebleiche Gesicht von Grace bei dem Termin auf der Polizeiwache, beim Anblick des Schlüpferchens auf dem Tisch. Klar, da hatte sie noch behauptet, es hätte sich nie jemand an sie herangemacht. Aber für Ray hätte sie eine solche Aussage doch nie und nimmer gemacht!
    Alles gelogen! Aus Rücksicht auf ihre Familie!
    Hunters Ahnungen hatten sich von Anfang an als zutreffend erwiesen. Ihr Vater, der allseits beliebte Gemeindepfarrer der
Purity Church of Christ
, war ein Kinderschänder gewesen! Der schändlichste aller Sünder. Und die Montgomerys hatten ihn umgebracht.
    Inzwischen wand Ray sich stöhnend auf dem Fußboden, eine Hand auf die verletzte Schulter gepresst.
    “Wer war er denn nun wirklich?”, fuhr sie ihn an, ohne eine Antwort zu erwarten.
    Dennoch bekam sie eine, auch wenn Ray offenbar starke Schmerzen litt. “Der größte Egoist … der mir je untergekommen … ist.” Fluchend schnappte er nach Luft, deutlich hörbar. “Er … stand auf … die blutjungen … zwölf … so in dem Alter … Katie … Rose Lee … das waren nur … Spielzeuge für ihn … Grace … die hat er … geliebt …”
    Madeline ging das Gehörte durch Mark und Bein. Die Worte, die ihr Vater auf den Rand der Bibel geschrieben hatte, fielen ihr ein. Da hatte er Graces Schönheit und Unschuld in höchsten Tönen gerühmt und betont, wie sehr er sie ins Herz geschlossen hatte. Unter den Umständen musste man diese Bemerkungen wohl ganz anders einordnen als bisher. Angewidert schlug sie die Hände vors Gesicht. Den Rest wollte sie nicht hören. “Her mit den Autoschlüsseln!”
    Er reagierte nicht.
    “Schlüssel her! Ich hole Hilfe.”
    Aus seiner Kehle drang eine Mischung aus Stöhnen und Lachen. “Was du … so unter Hilfe … verstehst … auf die … kann ich verzichten …”
    “Du verblutest!”, rief sie eindringlich.
    “Immer noch besser … als Knast …”
    Sie ließ die Axt fallen und presste die Hand auf ihre Unterarmwunde, um die Blutung zu stillen. “Egal – ich brauche die Schlüssel!”
    Ihr war, als blecke er grinsend die Zähne. Sie sah das Weiße blitzen. “Von mir aus … vordere Hosentasche … kannst ruhig … bisschen nachfühlen … da unten …”
    Sie nahm sich vor abzuwarten, bis er das Bewusstsein verlor. Dann konnte sie ihn in Ruhe fesseln und ihm die Autoschlüssel abnehmen. Das Warten erübrigte sich jedoch, denn auf einmal vernahm sie Motorengeräusch. Ans Fenster tretend, sah sie durch die Bäume hindurch die Scheinwerfer eines Autos.
    In der offenen Haustür stehend, schaute sie regungslos zu, wie Clays Pick-up vor dem Blockhaus anhielt. Es war vorbei. Es war überstanden.
    Doch die ganze Welt stand Kopf. Ray war nicht der verständnisvolle Bürger, für den sie ihn stets gehalten hatte. Ihr Vater war kein Gottesdiener gewesen, war ihrer Zuneigung, ihrer Achtung gar nicht würdig. Ihre Stiefgeschwister und ihre Stiefmutter waren keineswegs schuldlos. Und sie selber, sie war verliebt in einen Mann, den sie erst wenige Tage zuvor kennengelernt hatte. Einen, der möglicherweise ihre Liebe gar nicht erwidern durfte.
    Über die Schulter warf sie einen Blick auf den blutenden Ray. Sie hatte ihm diese Verletzung beigebracht – und dabei hätte sie sich nicht einmal träumen lassen, dass sie zu so einer Tat fähig sein würde.
    Selbst sie war nicht mehr dieselbe wie eine Woche zuvor.
    “Gott sei Dank, dass ich auf Sie gehört habe”, murmelte Clay, an Hunter gewandt.
    Er hielt sich etwas zurück, während der Privatdetektiv sich dem Blockhaus näherte. Er wusste ja nicht, wie Madeline ihn empfangen würde, und außerdem fürchtete er sich schon vor der Schilderung dessen, was sich vor ihrer Ankunft hier zugetragen haben musste.
    Madeline kam ihnen nicht entgegen, warf sich auch nicht in seine Arme, wie er es sich eigentlich vorgestellt hatte. Ihr Blick fuhr hinüber zu Hunter, und fast sah es so aus, als werde sie gleich ohnmächtig zusammenbrechen. Aber sie hielt sich aufrecht. Clay bemerkte, wie sie sich tapfer zusammenriss, wie sie ins grelle Scheinwerferlicht blinzelte und sich dann an ihren Stiefbruder wandte.
    “Madeline?”, sagte Hunter zögernd, sanft.
    “Ihn hat’s böse erwischt.” Regungslos stand sie da, das Haar wirr und verfilzt. Wimperntusche rann ihr über die Wangen, Spuren früherer Tränen. Ein Auge zugeschwollen, beide Mundwinkel eingerissen, dazu mit einer Wunde am Arm sah sie aus, als wäre
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