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Totgelebt (German Edition)

Totgelebt (German Edition)

Titel: Totgelebt (German Edition)
Autoren: Karin Hagemann
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an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Schemenhaft konnte sie die Abgrenzung zwischen Wiese, Wald und Feld erkennen. Hier war nichts. Sie konnte keinen Menschen ausmachen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, sie musste in den Wald hineingehen. In geduckter Haltung, die Augen auf den Weg gerichtet, in der Hoffnung, nicht zu fallen, trat sie in den Wald. Eine absolute Finsternis umgab sie augenblicklich. Die Nacht war bewölkt, das Mondlicht drang nur gedämpft durch die schweren, tiefhängenden Wolken. Sie versuchte an Tempo zu zulegen und lief im schnellen Lau f schritt fast blind den Weg entlang. Sie stoppte, drehte sich halb um, und horchte. Sie hörte ein Geräusch, ein Rascheln. Sie stellte sich ganz nah an einen Baum, suchte Schutz und hielt ihren Atem an. Sie starrte in die Dunkelheit, versuchte die Richtung auszumachen, aus der das Geräusch kam.
     
    Sie hatte sich den Erlöser anders vorgestellt. Größer, erhabener, gewichtiger. Ein mittelgroßer bärtiger Mann. Mehr war er nicht. Aber er hatte eine beruhigende, angenehme Stimme. Wenn ich die Augen schließe, stelle ich ihn mir als großen, schwebenden Mann vor, der über allem steht, der über alles wacht und alles liegt in seiner Hand, dachte Liliane. Es hatte bis jetzt alles so gut geklappt. Nun konnte einfach nichts mehr dazwischen kommen. Sie hatte es geschafft, sie hätte laut aufschreien können, aber sie biss sich auf die Lippe. Sie war glücklich, wirklich glücklich. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sein würde, einfach sorgenfrei zu sein, keine Angst mehr zu haben. Sie ersehnte förmlich den Augenblick des Todes. Sie spürte ihn fast körperlich. Der Tod hatte seine n Arm bereits nach ihr ausgestreckt . Der Tod rief nach ihr, und sie war bereit. Ganz sicher, das wusste sie. Plötzlich hörte sie ein Fingerschnippen. Sie öffnete die Augen.
    „Was ist los? Hast du etwa Angst? Hab ich dich falsch eingeschätzt? Vielleicht habe ich mir die Falsche ausgesucht?“, sein Tonfall war nun etwas härter.
    „Ich habe keine Angst. Ich warte schon so lange auf diesen einen Moment. Ich danke dir wirklich für deine Hilfe.“
    Er wurde wieder ruhiger und nickte, zufrieden. Sie schmeichelt mir, das kleine Di ng. Nun wusste er, dass er die R ichtige erwählt hatte , das konnte er spüren. Sie war die B este von allen. Das würde ein Fest werden. Er bemerkte, ein Ziehen im Unterleib, seine Hose spannte, er streckte sich ein bisschen. Ruhig, das wirst du doch wohl noch schaffen. „Zieh dich aus, ich bereite alles vor.“, er sah sie an und bückte sich zu seinem R u cksack.
    Das Mädchen rührte sich nicht, sie sah ihn erstaunt an „Wieso ausziehen. Was meinst du mit ausziehen?“, fragte sie den Mann.
    Er kramte ruhig in seinem Rucksack und murmelte undeutlich. „Der Herr will dich rein zu sich nehmen, so, wie er dich erschaffen hat, und das war nackt. Also, mach hier keinen Aufstand, zieh dich aus und bl eib da stehen, wo du jetzt stehst, komm nicht näher. Ich regele alles andere.“ Er schaute kurz von seiner Tasche auf, „Na los, worauf wartest du, ich dachte, du kannst es kaum erwarten. Zieh dich aus“, befahl er ihr barsch.“
    Liliane dachte nach, sie konnte jetzt nicht mehr zurück, nicht so kurz vorm Ziel. Was war das, war er genauso ein Schwein wie alle anderen, am Ende würde er ihr gar nicht helfen, er würde sie hier durchficken , dann würde er abhauen und sie würde zurückbleiben und alles wäre noch schlimmer. Das konnte nicht sein, er war der Erlöser, er hatte sie auserwählt. Nur sie, er wollte ihr helfen, weil ihr Leid ihn so berührte. „Hast du mich wirklich aus er wählt, nur mich?“, sie versuchte ihm in die Augen zu sehen. Liliane war jetzt ganz ruhig, ihre Stimme war fest.
    Er hielt ihrem Blick nicht stand. Er atmete heftig aus, er wurde ungeduldig. „Ja, du bist die Auserwählte. Jetzt mach schon, ist doch nichts dabei, zieh dich aus, dann gehst du , rein wie der Herr dich schuf , in den Tod.“
    Sie zögerte noch einen Moment, dann begann sie ganz langsam sich die Schuhe auszuziehen, die neuen Converse. Die wollte sie unbedingt heute Abend tragen. Dann die Socken, die Hose, den Pullover, ihr T-Shirt. Als sie nur noch in Unterwäsche vor ihm stand, drehte sie sich zu ihm um. Er beobachtete sie. Er starrte sie an. Sie kannte diesen Blick. Das hatte nicht s mehr mit Erlösung zu tun. So hatte er sie auch immer angeschaut, bevor er sie angefasst hat. „Ich möchte nicht, dass du mich anfasst.“, sagte sie mit brüchiger
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