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Toter geht's nicht

Toter geht's nicht

Titel: Toter geht's nicht
Autoren: Faber Dietrich
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Melina kichern. Wie lange ist das her, dass ich sie in meinem Beisein habe kichern hören! Als Kind hat sie immer gelacht, vor allem über mich. Sie war mal meine Prinzessin. Eines Morgens wachte sie auf und lachte nicht mehr. Wenigstens nicht mehr über mich.
    «Ich bin in Nidda, in der Brunnengasse 12», sagt Melina dann. «Ich warte vor der Tür.»
    «Bin in 10 Minuten da.»
    Die Frage, mit wem in der Brunnengasse was stattfand, verkneife ich mir lieber.
     
    Es ist 1.17 Uhr. Ich sitze in meinem eigenen Haus und fühle mich fremd. Sechs Jahre ist es nun her, dass wir hier eingezogen sind. Franziska war schwanger mit Laurin, und die Dreizimmerwohnung in Nidda wäre für vier zu klein gewesen. So kamen wir zu dieser Doppelhaushälfte in Bad Salzhausen, dem kleinen Kurstadtteil von Nidda. Doppelhaushälfte, kurz DHH, ein Wort, wie es nur die deutsche Sprache hervorbringen kann, ähnlich wie Schwippschwager oder Nießbrauch.
    Bad Salzhausen besteht eigentlich nur aus Park. Durchzogen wird dieser von einer einzigen Straße, die nicht allzu überraschend Kurstraße heißt. An der Kurstraße gelegen findet man eine Therme, ein Touristinfobüro, einige Cafés, Pensionen und Altenheime. Die Straße ist äußerst verkehrsberuhigt. Alles hier ist extrem beruhigt. Alles ist leise. Man lebt hier in dem ständigen Gefühl, jemanden zu stören, und es kostet Überwindung, nicht im Flüsterton miteinander zu sprechen. Ein Paradies für Jugendliche wie Melina …
    Damals dachten wir, es sei doch toll für Kinder, so aufzuwachsen, mitten im Grünen. Wir vergaßen, dass sie einmal groß würden.
    Eigentlich wohnt man hier nicht. Man macht viel eher Kur. Man sitzt auf Parkbänken oder fährt mit dem Rollator vom Kurhaus zum Parksaal und wieder zurück. Oberhalb des Parkgeländes gibt es zweieinhalb Straßen, in denen einige wenige Häuser stehen. Ein halbes davon bewohnen wir. Es schien damals reizvoll zu sein, in idyllischer, abgeschiedener Lage in so einer verkehrsberuhigten Aura zu leben. Es war nicht absehbar, dass auch unser Schlafzimmer nach einigen Monaten selbst zu einer sehr verkehrsberuhigten Zone würde.
    Unser Haus hat sechs Zimmer, Garten, Terrasse, Waschkeller und trallala. Franziska hat es eingerichtet. Das war auch gut so. Sie kann das, sie hat Geschmack und Ideen. Ich kann es nicht, habe keine Ideen und erst recht keinen Geschmack. Wir haben einen dunklen Holzesstisch mit Lederstühlen und ein dunkelblaues Überecksofa – auch eines meiner Lieblingsworte – mit gelben und roten Kissen. Lebendig sollte das wirken. Die Wände sind nicht tapeziert, sondern nur verputzt und sparsam mit Kunstdrucken moderner deutscher Maler behangen. Wir haben einen offenen Wohn-Ess-und-Küchenbereich, der dezent im Toskana-Landhausstil gehalten ist. Im Wohnzimmer steht ein alter Flügel, ein Erbstück einer Tante von Franziska, auf dem Franziska seit vier Jahren nicht mehr spielt. So verstaubt er innerlich, wenn man so will.
    Das Haus haben wir gekauft. Nur aber nicht von meinem oder Franziskas Geld, sondern von dem der Bank und dem nicht unerheblichen steuergünstigen Vorvererbungszuschuss meiner Eltern. So beschleicht mich leise das Gefühl, dass ich hier im Haus der Sparkasse Oberhessen und meiner Eltern lebe, das von Franziska eingerichtet wurde. Mein Bereich ist Rasenmähen, was ich allerdings auch nur unregelmäßig tue, aus Protest gegen unsere Nachbarn, die ihren Rasen mit der Nagelschere stutzen.
    Um den Themenbereich Fernseher hingegen habe ich mich umso intensiver gekümmert. Vier Tage lang habe ich im Internet 32-Zoll-16:9-HD-ready-LCD-Flatscreen-Fernseher herausrecherchiert und verglichen. Ich habe 4378 Kundenrezensionen durchgearbeitet, bis ich irgendwann einen bestellte. 81 Zentimeter breites Bild, mit integriertem DVB-T-Tuner und drei HDMI. Direkt nach der Lieferung habe ich ihn an die Wand gehängt.
    «Meinst du nicht, dass der ein wenig zu groß ist?», fragte mich Franziska. «Quatsch, zu große Fernseher gibt es nicht», entgegnete ich, während ich feststellte, dass wir nur zwei Meter vom Fernseher entfernt auf dem Sofa saßen und das Bild daher total unscharf daherkam. Die wahre Bildqualität wäre vermutlich von Nachbars Garten aus durch die Terrassentür hindurch feststellbar gewesen. Das habe ich natürlich nicht zugegeben und würde es auch heute niemals tun. Ein bisschen blöd war zudem auch, dass der Fernseher am dritten Tag von der Wand krachte. Er hat seitdem einen Blaustich. So sehen alle ein wenig
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