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Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Titel: Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Autoren: Susanne Staun
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den ich bislang nur im Dunkeln oder im kalten, grellen Licht des Obduktionssaals gesehen hatte. Er war ein Mann, der nicht mehr sagte als unbedingt nötig. Und Bjarne Gudme, war das nicht dieser Medizinstudent mit dem viel zu früh gealterten Gesicht gewesen?
    Ich suchte aus dem Wäschekorb ein mehr oder weniger sauberes T-Shirt heraus und zog es an; versuchte mich zu erinnern, ob es draußen warm oder kalt gewesen war, und kam zu dem Schluss, dass wir Sommer hatten und gerade so etwas wie eine Hitzewelle über dem Land lag. Ich sah aus dem Fenster. Im vierten Stock des roten Ziegelhauses gegenüber brannte noch Licht, ansonsten war Odense stockfinster, aber an die undurchdringliche Dunkelheit hatte ich mich nach einem Jahr inzwischen gewöhnt.
    Ich warf einen Blick auf die Katze, die noch immer entspannt und wie eine Sichel gekrümmt auf meinem Bett lag, irgendwo weitweg in ihrer Traumwelt. Während ich auf meiner Zunge herumkaute, überlegte ich mir meinen nächsten Schritt. In meinem Mund herrschte jener Geschmack, den ich mit dem Gefühl verknüpfte, mitten in einer REM-Schlafphase aufzuwachen: eine bittere Trockenheit, die ich sonst nur aus den wenigen, aber erinnerungswürdig beängstigenden Perioden meines Lebens kannte, in denen ich versucht hatte, ein paar Kilo abzunehmen. Einige Male war es mir tatsächlich geglückt, die Fettverbrennungsphase zu erreichen, in der in meinem Blut wie bei einem Zuckerkranken mehr Ketonkörper als Glucose zirkulierten. Ich zündete eine Cecil an, und das Nikotin knallte mit voller Wucht auf meine Nervenspitzen. Vom Geschmack wurde mir dafür schlagartig übel, so dass ich ins Bad rannte und die Zigarette in der Toilette herunterspülte. Rauchen half weder gegen Kopfschmerzen, noch machte es die Welt irgendwie besser. Stattdessen putzte ich mir rasch die Zähne und riss die Augen auf, um dem Schlaf zu trotzen, der mich zurückholen wollte.
    Auf dem Weg durch die Tür schnappte ich mir meine Wildlederjacke und den Tatortkoffer. Mir fehlte die Kraft, erst noch den Inhalt zu überprüfen, andererseits war ich ziemlich sicher, das verbrauchte Material nach dem letzten Mal wieder aufgefüllt zu haben.
    Ich fühlte mich schrecklich steif und unbeholfen, als ich die zwei Treppen nach unten lief. Irgendwie schienen meine motorischen Fähigkeiten noch im Standby zu sein, so dass ich mich wie eine Verrückte ans Geländer klammerte und die Stufen fixierte, als wollte ich sie so davon abhalten, sich zu bewegen.
    Die Straße war komplett verwaist: Sonntagnacht, Montagmorgen; die trägen, ausgelaugten Wochenendkörper schliefen noch tief und die Bürgersteige glänzten leer und schwarz nach dem nächtlichen Regen.
    Mein Golf GTI parkte direkt vor der Tür. Das Navi klebte an der Windschutzscheibe, und rechts unterhalb des Lenkrads wartete Dänemarks teuerste Stereoanlage auf mich. Ich war überzeugt davon,erst dann ein bisschen Respekt vor Odense empfinden zu können, wenn mir diese beiden Geräte in irgendeiner dunklen Nacht geklaut würden. Allerdings wohnte ich mittlerweile bereits ein Jahr hier, und Anlage und Navi waren noch immer unangetastet.
    Ich schloss den Wagen auf, warf den Koffer auf den Beifahrersitz und setzte mich hinter das Lenkrad. Den Zettel hatte ich oben in der Wohnung vergessen, aber ich erinnerte mich noch an Gudme und Nordre Søvej.
    Das Navi stellte meine Geduld auf die Probe, als es über dreißig Sekunden meine Route berechnete: vierunddreißig Minuten bis Gudme. Ich ließ den Wagen an und genoss das Geräusch des GTI ohne Endschalldämpfer: nicht ganz korrekt, aber eine sehr wohlige Verheißung auf noch mehr Pferdestärken, als sich so schon unter der Motorhaube versteckten.
    Ich bog in den Hunderupvej ein, der ebenfalls vollkommen verwaist war, und beschleunigte – gefühlt – in einer Sekunde auf achtzig. Ich liebte mein Auto, liebte seinen Sound und war mir sicher, auch heute die Zeitberechnung meines Navis um mindestens zwanzig Prozent zu unterbieten; 6,8 Minuten, was bedeutete, dass ich in 27,2 Minuten in Gudme sein würde.
    Hjallesevej und noch mehr Einöde. Weiterhin keine Menschen, nicht einmal ein Zeitungsbote.
    Auf der Niels Bohr-Allé schaltete ich das Radio ein und trat zu den letzten Tönen von
Kun for mig
das Gaspedal durch. Dann machte ich das Radio wieder aus, um zu hören, was das Navi sagte, schaltete es aber wieder ein, als es hieß: zwanzig Kilometer geradeaus. Für einen kurzen Moment war nur sphärisches Rauschen zu hören, denn im Display
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