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Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Titel: Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
Autoren: Colin Cotterill
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Essensreste und einen Schlafplatz auf dem nackten Boden. Hospitäler seien schließlich für Kranke da, rief er der Personalchefin der Klinik ins Gedächtnis, worauf diese den fatalen Fehler beging, einen Augenblick zu zögern, bevor sie Nein sagte. Als sie nach getaner Arbeit aus ihrem Büro kam, sah sie Geung allein auf einer Holzbank sitzen, auf dem Schoß ein in Zeitungspapier gewickeltes Paket.
    »Wo ist Ihr Vater?«
    »Zu Hause«, lautete die nüchterne Antwort.
    »Also, hier können Sie aber nicht bleiben. Das ist Ihnen hoffentlich klar.«
    Sein Lächeln entblößte ein Gebiss, das aussah, als stamme jeder Zahn aus einem anderen Mund. Als sie am nächsten Morgen zum Dienst erschien, saß Herr Geung noch immer an derselben Stelle. Ebenso am nächsten und am übernächsten Tag. Und immer lächelte er, entblößte seine schiefen Zähne und wünschte ihr Wohlsein. Sein Zeitungspaket schrumpfte von Tag zu Tag, bis er seinen Trockenfisch schließlich verspeist hatte. Und so wurde Geung Watajak zum ersten unbezahlten Mitarbeiter des modernsten Krankenhauses in Vientiane.

    Wie sich herausstellte, gab es einen Arbeitsplatz, der für normale Menschen gänzlich ungeeignet war. Er befand sich in der Rumpelkammer hinter der Klinikwäscherei und hatte binnen zwei Monaten vier Bewerber vergrault. Hier kamen die mit roten Etiketten versehenen Plastiksäcke aus den Kranken- und Operationssälen an. Das Etikett bezeichnete stark verschmutzte Wäsche. Bei den Verschmutzungen handelte es sich im Allgemeinen um Blut und Exkremente, oft jedoch auch um andere kleine Überraschungen, die man eilig in Decken und Laken geschlagen hatte. Aus all den Fundstücken, die er im Lauf der folgenden fünf Jahre sammelte, hätte Herr Geung vermutlich ohne Weiteres diverse menschliche Leichname zusammensetzen können.
    Seine Aufgabe war es, die rot etikettierte Wäsche und die Gummischürzen der Chirurgen auszuspülen und von Fremdkörpern zu befreien, bevor sie in der Wäscherei gekocht wurden. Dafür bekam er eine kleine Schlafkammer und Essensbons für die Personalkantine zugeteilt. Er beschwerte sich nie über seine grausige Arbeit oder seine mangelnde Bezahlung, sondern fügte sich klaglos in sein Schicksal. Wenn sein Vater den Lohn seiner Sprösslinge »eintrieb«, schaute er hin und wieder rasch bei seinem Sohn vorbei. Obwohl Geung ihm kein Geld geben konnte, brachte der Alte stets ein wenig Obst mit oder ein mit Klebreis gefülltes Bambusrohr sowie den neuesten Klatsch und Tratsch von Leuten, an die Geung so gut wie keine Erinnerung mehr hatte. Der junge Mann fragte nie, ob er wieder nach Hause kommen dürfe.
    Dank seines unkomplizierten, aufrichtigen Wesens war Geung bei Schwestern und Klinikpersonal sehr gern gesehen. Bald war er so beliebt, dass einer der Ärzte, Dr.
Pongruk, beschloss, es sei an der Zeit, ihn aus der Roten Kammer zu befreien. Geung hatte seine Stellung in der Mahosot-Klinik angetreten, als die Amerikaner Laos gepachtet hatten – und die meisten seiner Bewohner gleich mit. Mit ihrem Geld finanzierten die Besatzer die Gehälter der Regierung, die Aufrüstung des Militärs und den Ausbau der Infrastruktur, in der Hoffnung, dem Vormarsch der Kommunisten auf diese Weise Einhalt gebieten zu können. Das amerikanische Entwicklungshilfeministerium hatte Dr. Pongruk in Bangkok und Washington zum Forensiker ausbilden lassen. Bei seiner Rückkehr sollte er auf dem Klinikgelände eine neue Pathologie aufbauen.
    Neben Dr. Pongruks Gehalt stellten die Amerikaner auch ein kleines Halbtagssalär bereit, mit dem die laotischen Behörden die Dienste einer Teilzeitkrankenschwester zu finanzieren gedachten. Als der Arzt ihnen erklärte, er habe einen überaus kompetenten Mitarbeiter ausfindig gemacht, der gern bereit sei, sich mit halbem Lohn für eine volle Stelle zu begnügen, kannte ihr Entzücken keine Grenzen – bis sie dahinterkamen, wen der Doktor im Sinn hatte. Wie so viele war auch Dr. Pongruk entsetzt gewesen, als er erfuhr, dass Geung all die Jahre keinen Lohn erhalten hatte. Ihm war klar, dass die Klinik Geung auf Grund seiner Krankheit und seiner fehlenden Ausbildung unmöglich einstellen konnte. Aber mit dem Untergang des Lane-Xang-Königreiches war in Laos auch die Sklaverei ausgestorben, und er wollte sich Geung gegenüber irgendwie erkenntlich zeigen.
    Die amerikanische Übergangsregierung erteilte ihm seinen Segen, und der Doktor machte sich daran, Herrn Geung zu seinem Assistenten auszubilden. Er bewies unendliche
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