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Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Titel: Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
Autoren: Colin Cotterill
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ob er ein Schamane war, der ihr Vertrauen verdiente.
    Ihre Stimmen waren rings um das Gästehaus zu hören: Mütter, die ihre Kinder von den offenen Feldern heimriefen, alte Frauen, die um die alten Männer weinten, die sie zurückgelassen hatten, gickelnde Babys – die in ihrer Unschuld noch nicht ahnen konnten, dass sie seit vielen Jahren tot waren. Wie sollte Siri dabei schlafen? Und zu allem Übel dröhnte Punkt zwölf auch noch diese grässliche Discomusik los und machte jede Hoffnung auf eine gesegnete Nachtruhe zunichte. Er fragte sich, wem um diese Uhrzeit noch nach Tanzen zumute war und wie man diesen widerlichen Westlärm ernstlich goutieren konnte. Aber vielleicht handelte es sich ja auch um eine besonders perfide Foltertechnik, mit der die Partei die Funktionäre aus Vientiane peinigen wollte. Etwas Grausameres konnte er sich schwerlich vorstellen.

2
    DER HERR DER ROTEN KAMMER
    Geung Watajak war im Oktober 1952 in einem Dorf namens Thangon unweit von Vientiane zur Welt gekommen, einer winzigen Ansammlung einfacher Holzhütten, die sich um einen Tempel scharten und in der Regenzeit regelmäßig vom Monsun hinweggespült wurden. Auf Karten war es nur deshalb verzeichnet, weil es dort eine altersschwache Fähre gab, die Reisende auf dem Weg zum großen Stausee über den Nam-Ngum-Fluss setzte. Obwohl kaum ein Tourist je aus anderen Gründen nach Thangon fand, war rings um die Anlegestelle ein kleines Dorf entstanden. Doch trotz der Nähe zur Hauptstadt und des regen Durchgangsverkehrs war es kaum mehr als ein Provinzkaff.
    Die Einheimischen pflegten ein simples Weltbild. In ihren Augen gab es nur zwei Kategorien von Geistesschwäche: schwerfällig wie ein satter Panda und verrückt wie ein betrunkener Weißhandgibbon. In Thangon gab es je ein Exemplar dieser beiden Spezies. Die alte Tante Soun hatte kurzzeitig als Schamanin praktiziert, bis sie vergaß, wie man die bösen Geister wieder in den Wald entließ. Sie rumorten und brodelten in ihr wie in einem Kessel, bis dieser schließlich platzte und ihr die Sicherung durchbrannte.
Seitdem war sie berühmt für ihre wirren Schimpftiraden und ihre gelegentlichen Anfälle von Exhibitionismus.
    Geung hingegen war ein sehr stilles Baby gewesen, eines von sieben Kindern. Da er alle körperlichen Merkmale des Down-Syndroms aufwies, war man sich einig, dass es wenig Sinn hatte, den Jungen zur Schule zu schicken. Zwar tat er sich mit dem Lernen in der Tat recht schwer, was jedoch nicht zuletzt daran lag, dass niemand sich die Mühe machte, ihm etwas beizubringen. Allein seine Mutter rief ihn bei seinem Namen. Für seinen Vater und seine Geschwister hieß er nur der »Dummkopf«. Und da sie es nicht böse meinten, glaubte Geung noch im reifen Alter von achtzehn Jahren, dass der Irrtum bei seiner Mutter lag.
    Die Watajaks waren Bauern, und so gestaltete sich ihr Tagesablauf einfach und monoton, was dem fröhlichen Jungen sehr entgegenkam. Dank der harten Arbeit wuchs er zu einem kräftigen Burschen heran, und das Leben im Kreise der Familie gab ihm ein Gefühl der Nestwärme und der Geborgenheit. Damit war es allerdings von heute auf morgen vorbei, als sein Vater mit ihm und zweien seiner Geschwister eines Tages nach Vientiane fuhr, um ihnen eine Arbeit zu besorgen. Sie waren alt genug, und sie durchzufüttern kostete die Familie ein Vermögen. Es war an der Zeit, dass sie sich dem Faulpelz gegenüber erkenntlich zeigten, der sich immerhin die Mühe gemacht hatte, sie zu zeugen. Ihre Mutter wurde gar nicht erst gefragt.
    Die Schwester fand eine Anstellung in einem aus Bambus und Wellblech zusammengezimmerten »Nachtclub« in der Hanoi Road unweit des Marktes. Leider würde sie ihr Geld hauptsächlich in der Horizontalen verdienen, aber ein vierzehnjähriges Bauernmädchen ohne Schulbildung durfte sich glücklich schätzen, wenn es überhaupt Arbeit
fand. Geungs jüngerer Bruder ergatterte einen Job am Busbahnhof, wo er Fahrgäste warb, Billets einsammelte und lauthals verkündete, wohin die Reise ging, während er sich bei voller Fahrt aus der offenen Tür des Busses lehnte.
    Doch sein Vater wusste, dass ihm das Schwierigste noch bevorstand: Arbeit für Geung zu finden. Denn welcher normale Mensch stellte schon einen Dummkopf ein? Aber der Alte war nicht nur stinkfaul, sondern kannte auch nicht den geringsten Skrupel. Und so schleppte er seinen achtzehn Jahre alten Sohn zur Mahosot-Klinik, wo er die Dienste des Jungen gratis feilbot, im Tausch gegen eine Handvoll
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