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Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Titel: Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
Autoren: Colin Cotterill
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Geduld und opferte zahllose Überstunden, um
Geung auf seine Pflichten in der Pathologie vorzubereiten. Und der junge Mann ging mit großer Begeisterung ans Werk. Bald konnte er eine Schädeldecke entfernen, ohne das Gehirn auch nur zu streifen, und mit seiner langen Schere durchtrennte er Rippen, als seien sie aus Kreide. Er schleppte Leichen und verstreute Leichenteile durch den Sektionssaal wie ein fürsorgliches Mitglied der Familie des Verstorbenen.
    »Es ist, als würde man ein Boot mit kee-see -Harz versiegeln«, erklärte der Doktor eines Abends seiner Frau. »Es dauert eine Weile, bis das Harz getrocknet ist, aber dann könnte man die Planken nicht einmal mehr mit Hammer und Meißel auseinanderstemmen.« Als Dr. Pongruk und seine Frau eines Nachts über den Mekong schwammen, um dem zu entgehen, was die Kommunisten mit Akademikern wie ihnen anstellen würden, ließen sie einen Pathologieassistenten zurück, dem in Sachen Labor- und Obduktionsverfahren in ganz Laos niemand das Wasser reichen konnte. Leider hatte er jetzt keinen Chef mehr. Die Pathologie war geschlossen. Wieder musste Geung ein halbes Jahr lang in der Roten Kammer Dienst tun. Doch weder beklagte er sich, noch empfand er die Versetzung als Degradierung. Für ihn war es schlicht und einfach Schicksal.
    Eines Tages dann erschien Dr. Siri auf der Bildfläche, erlöste Dtui aus ihrer Fron auf der Station und brachte frischen Wind und neues Leben in die Pathologie. Die beiden konnten und mochten auf Geungs Sachkenntnis nicht verzichten, und so wuchsen sie schon bald zu einem echten Team zusammen. Auch wenn man sie schwerlich als Profis bezeichnen konnte. Siri war zwar sein Leben lang Chirurg gewesen, hatte aber noch nie einen Leichnam obduziert und in dieser Hinsicht eigentlich auch keine
Ambitionen. Er harrte der Pension, die er sich verdient zu haben glaubte, und stand einem beruflichen Neuanfang zunächst äußerst skeptisch gegenüber. Im ersten Jahr forschten und studierten sie am leblosen Objekt. Und da sie weder über ein Labor noch über moderne Instrumente, geschweige denn aktuelle Lehrbücher verfügten, war die Pathologie der Mahosot-Klinik manchmal noch heute Schauplatz wildester Experimente. Wäre Siris Gabe – sprich seine Fähigkeit, mit den Geistern der Toten in Kontakt zu treten – nicht gewesen, wäre ihnen zweifellos der eine oder andere schwere Fehler unterlaufen.
    Ihre gemeinsamen Erfahrungen hatten die drei Kollegen eng zusammengeschweißt. Für Geung war Dtui eine Schwester und Siri ein Großvater. Obwohl er seine Gefühle nicht erklären konnte, liebte er die beiden über alles. Selbst wenn er nicht recht begriff, was los war, litt er mit ihnen. Er freute sich über ihre Siege, er beweinte ihre Niederlagen – und registrierte mit der Präzision eines Luftschiffbarometers, wie es um die beiden bestellt war. Sie vertrauten ihm, und seine Ehrlichkeit bewahrte ihn davor, leere Versprechungen zu machen. Auf Geung war bisher immer Verlass gewesen: Wenn er eine Verpflichtung einging, war es ihm oberstes Gebot, sie auch zu erfüllen. Darum hatte Genosse Dr. Siri ihm vor ihrer Abreise das Versprechen abgenommen, die Pathologie bis zu ihrer Rückkehr sorgsam zu hüten.
    Während der Abwesenheit des Doktors gab es für ihn nicht allzu viel zu tun. Das Krankenhaus konnte höchstens zwei Leichen auf einmal aufnehmen. Geungs Aufgabe bestand darin, sie in der einzigen vorhandenen Kühlkammer wie in einem Etagenbett übereinanderzustapeln. Mit einem plötzlichen Massenandrang von obduktionsbedürftigen
Leichen war kaum zu rechnen. Zwar grassierte im Vientiane-Becken eine Dengue-Epidemie, doch wie die ihr todbringendes Werk vollbrachte, war kein Geheimnis: Fieber, Erschöpfung, Blutungen, Exitus. Die Pathologie war lediglich für rätselhafte Todesfälle an den staatlichen Krankenhäusern zuständig sowie für die Mordopfer, die ihr bisweilen von der Polizei überstellt wurden.
    Wenn sie einen Fall hereinbekamen, war Herr Geung unentbehrlich. Aber da er nicht über die erforderliche Qualifikation verfügte, durfte er seine Arbeit nur im Beisein eines Arztes verrichten. Und so beschränkte sich seine Tätigkeit derzeit darauf, zu fegen, Staub zu wischen, Schaben zu verscheuchen und das Büro zu bewachen. Er nahm seine Aufgabe ernst; er hatte sogar Decken und Kissen aus seiner Kammer mitgebracht und war fest entschlossen, im Seziersaal Posten zu beziehen.
    Er war die Friedfertigkeit in Person. Gefühle wie Wut und Zorn waren ihm fremd, und er
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