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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte
Autoren: M. R. Hall
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mich dann Silverman ständig an und verlangte Informationen. Während des Frühjahrs wurde Nazims und mein Verhältnis enger. Wir verbrachten jede Woche mehrere Nächte miteinander, obwohl das für ihn ein großes Problem darstellte. Jeden Morgen bei Dämmerung hat er gebetet, selbst wenn ich im Raum war. Über Religion oder Politik hat er nicht viel geredet, aber ich sah, was für Bücher er las, und habe auch darauf geachtet, was für Internetseiten er besuchte. Aus alldem schloss ich, dass er sich sehr mit der islamistischen Sache identifizierte. Manchmal habe ich mitbekommen, wie er mit indopakistanischen Freunden über Israel und Palästina oder über den Krieg in Afghanistan sprach. Gelegentlich habe ich auch versucht, mit ihm über seine Überzeugungen zu reden, aber dann hat er unweigerlich das Thema gewechselt oder behauptet, das sei irrelevant oder für mich nicht interessant. Immer stärker bekam ich das Gefühl, dass er zwei Leben führte: eins mit mir, das andere mit seinen indopakistanischen Freunden. Er achtete sehr darauf, dass sie sich nicht überschnitten. Die Folge davon war, dass ich Silverman nichts erzählen konnte und er immer ungeduldiger wurde. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hat er mich jeden Tag angerufen und mir Vorschläge gemacht, was ich Nazim für Fragen stellen könnte. Er hat mir sogar nahegelegt, ich solle mit ihm darüber sprechen, ob ich zum Islam konvertieren könne.
    Die Situation wurde immer unangenehmer für mich, sodass ich schon nach einem Ausweg suchte, als Nazim am Ende des Trimesters plötzlich erklärte, er wolle unsere Beziehung beenden. Gründe nannte er nicht, aber er war sichtlich aufgebracht. Es schien fast so, als hätte er etwas herausgefunden und wäre angewiesen worden, sich von mir fernzuhalten.
    Ich erzählte Silverman, was passiert war. Er war außer sich und sagte, er habe Informationen, dass Nazim und seine Freunde über die Möglichkeit eines Anschlags auf eins der vier Atomkraftwerke bei der Severnmündung diskutiert hätten. Man habe sie an einem Wochenende verfolgt, als sie nach Hinkley Point und dann weiter nach Maybury gefahren seien. Er befahl mir, Nazims Abfuhr nicht zu akzeptieren. Damals hatte ich schon richtige Angst vor ihm, wusste aber nicht, an wen ich mich wenden sollte.
    Zu Beginn des nächsten Trimesters versuchte ich mich wieder Nazim zu nähern, aber er verhielt sich fast schon feindselig und erklärte, ich solle ihn in Ruhe lassen. Silverman reagierte darauf, indem er mir ein paar winzige Abhörgeräte gab und mich anwies, sie in Nazims Zimmer zu verstecken. Das war das einzige Mal, dass ich mich prostituiert habe. Ich bin spätabends zu ihm gegangen und habe gebettelt, dass er mich hereinlässt. Wir haben die Nacht miteinander verbracht, aber er hat mich schwören lassen, dass ich es niemandem erzähle. Am nächsten Morgen war er in Tränen aufgelöst. Er hatte sein Morgengebet verpasst und machte mich dafür verantwortlich. Er sagte, ich sei eine Hure und der Teufel habe mich geschickt, um ihn in Versuchung zu führen. Er war sehr aufgewühlt und verließ den Raum, als ich mich anzog. Ich war wütend auf ihn und ekelte mich vor mir selbst. Ich schloss die Tür von innen ab und wühlte in seinen Papieren herum. Ich fand einen Block, auf dem er während einem seiner religiösen Treffen Notizen gemacht hatte, und entdeckte auf der Rückseite eine Liste mit Zeiten und Orten. An den ersten Eintrag kann ich mich noch erinnern: Avonmouth Treibstoffdepot. Mit einer Mini kamera, die Silverman mir gegeben hatte, fotografierte ich die Seite ab.
    Silverman war begeistert und sagte, die Liste beweise, dass Nazim und seine Freunde einen Tanklaster entführen und mit ihm in eins der Atomkraftwerke rasen wollten. Er spekulierte sogar, dass sie nicht nur einen, sondern mehrere Tanklaster entführen wollten, um ein richtiges Loch in ein Atomkraftwerk zu reißen. Allerdings forderte er jetzt natürlich mehr Informationen. Ich erklärte ihm, dass die Beziehung beendet sei, aber er bestand darauf, dass ich, so weit es nur ging, weiterhin Nazims Nähe suchen sollte. Kein Detail konnte unbedeutend sein. Stimmungswechsel, winzige Veränderungen in Nazims äußerer Erscheinung – alles wollte er wissen.
    Ich tat, was er von mir verlangte. Im Juni habe ich Silverman fast jeden Tag kontaktiert. Mir fiel auf, dass Nazim immer zerstreuter und distanzierter wurde. Er verpasste Vorlesungen und Seminare und sprach weder mit mir noch mit anderen Studenten. Ich machte
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