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Totenreise

Totenreise

Titel: Totenreise
Autoren: David Lozano Garbala
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hatten sich an das schwache Dämmerlicht gewöhnt. Hin und wieder ruhten sie sich einen Moment aus, indem sie vorsichtig in die Hocke gingen und die Hände auf die Knie stützten. Sich irgendwo anzulehnen oder auf den feuchten Boden zu setzen, unterließen sie tunlichst.
    Zumindest gab es keine feindlichen Wesen auf diesem unterirdischen Weg, der sich in zahlreichen Windungen immer tiefer in die Erde bohrte. Hin und wieder kamen sie an eine Abzweigung. Dann benutzten sie ihren leuchtenden Stein.
    Die schlammigen Wände wiesen immer bizarrere Verformungen auf; mal zogen sie sich trichterförmig ein oder sie blähten sich auf, als wollten sie zerplatzen, sodass kaum genug Platz war, um daran vorbeizukommen. All diese weichen Verformungen vibrierten und gaben glucksende Geräusche von sich, als führten sie ein Eigenleben.
    Irgendwann geschah es. Eine dieser Blasen brach direkt neben Pascal auf, und er machte einen Satz zurück. Aus der Wand schloss der Torso eines mit zähem Schleim überzogenen toten Mannes hervor, der im nächsten Moment wieder verschlungen wurde, und die Öffnung, als wäre nichts geschehen, schloss sich hinter ihm. Alle waren vor Entsetzen stehen geblieben. Pascal schluckte schwer und versuchte, sich Mut zu machen, um den Weg fortzusetzen.
    »Das ist so etwas wie … wie ein Verdauungssystem«, sagte Michelle mit belegter Stimme. »Hier drin werden die …«
    »… die Verdammten verdaut, denen nicht vergeben worden ist«, beendete Beatrice den Satz. »Und zu ihrem Unglück dauert es sehr lange. Doch es ist nur eins der vielen Schicksale, die im Reich der Finsternis möglich sind. Denkt einfach nicht dran. Wir müssen weiter.«
    Michelle, die wieder kaum begriff, was hier geschah, fragte sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, diesen schrecklichen Weg zu wählen. Konnten sie vielleicht noch zurück?
    Sie verharrten unschlüssig in ihrer gebückten Haltung. Beatrice sah die Zweifel in den Gesichtern der anderen.
     
    »Pascal …«, drängte sie.
    »Also los«, sagte er schließlich mit gespielter Entschlossenheit und packte energisch sein Schwert. »Wir müssen weiter, eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
    Die Gruppe setzte sich wieder in Bewegung, jeder mit seinen eigenen Ängsten beschäftigt. Nach einer Weile spürte Michelle ein Kitzeln auf ihrem Arm und sie fasste unbewusst danach. Ihr stockte der Atem, als ihre Finger einen kleinen, länglichen und wie aus mehreren Ringen bestehenden Körper berührten, der sich außerdem weich anfühlte.
    »Auf meinem Arm sitzt ein Tier«, sagte sie voller Ekel.
    Pascal stürzte zu ihr. Im Schein des blinkenden Steins konnte er es sehen: Es war eine Art überdimensionaler Blutsauger, faste eine Handspanne lang, mit Saugnäpfen am ganzen Körper.
    Michelle bewegte sich nicht und kämpfte tapfer gegen ihren Ekel an, während die anderen hektisch überlegten, wie sie das Tier entfernen könnten. Beatrice betrachtete es eingehend.
    »Zum Glück ist dieser Wurm erst seit Kurzem in Körperkontakt mit dir«, beruhigte sie Michelle, und zu Pascal gewandt: »Töte es, schnell. Diese Parasiten saugen nicht nur, sondern legen auch ihre Eier ab!«
    Pascal verlor keine Zeit. Vorsichtig schob er die Klinge seines Schwerts unter den Blutsauger, der sofort losließ, als er dessen Wärme spürte. Als er auf dem Boden lag, zerquetschte Pascal ihn mit einem einzigen Tritt.
    Michelle fasste sich. »Danke, Pascal«, sagte sie und versuchte ein Lächeln. »Du weißt ja, ich stehe nicht besonders auf Insekten …«, sagte sie beschämt.
    Pascal grinste.
    »Freut mich, dass sich das nicht geändert hat. So bist du mir etwas schuldig.«
    Sie nickte.
    »In Ordnung.«
    »Du bist echt cool, Michelle«, sagte er mit unverkennbarer Bewunderung in der Stimme. »Ich weiß nicht, aber manch einer hätte vielleicht laut geschrien, wenn er das Ding auf seinem Arm gespürt hätte.«
    »Ich wollte uns nicht in Gefahr bringen«, sagte sie. »Wer weiß, was sich noch so in diesem Tunnel herumtreibt und nur auf einen Laut von etwas Lebendigem wartet …? Außerdem«, fügte sie etwas forsch hinzu, »müsste solch ein Tier in der Zwischenzeit ein bisschen größer sein, um mich einzuschüchtern.«
    Pascal sah sie an.
    »Ich habe dich so vermisst, Michelle.«
    »Ich dich auch, glaub mir.« Sie wendete sich ab. Hatte Pascal richtig gesehen in diesem schwachen Licht? War sie ein bisschen rot geworden?
    Beatrice trat nun zu ihnen. »Wir müssen ganz schön aufpassen«, warnte sie mit
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