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Totenreigen

Totenreigen

Titel: Totenreigen
Autoren: Dietmar Lykk
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Sie nächstes Mal
mit dem Dampfer nach Kiel müssen«, fuhr sie fort, während Lüthje in seinem
Portemonnaie nach Kleingeld suchte.
    »Wie lange muss die Klockemann denn ins Gefängnis?«, fragte sie
laut. Hinter Lüthje hatte sich eine Schlange Wartender gebildet.
    Er legte ihr einen Fünf-Euro-Schein neben die Flaschen. »Ein paar
Jährchen werden da schon zusammenkommen.«
    »Oh. Na ja. Wissen Sie … sie wird uns hier schon ein bisschen
fehlen, Herr Kommissar Lüthje«, sagte sie, wieder unnötig laut, und gab ihm das
Wechselgeld.
    Als Lüthje mit den Bierflaschen im Rucksack an den Wartenden
vorbeiging, musterten sie ihn wie ein gefährliches Tier im Freigehege des Zoos.
    Dieser Kommissar Lüthje war wirklich gnadenlos.
    In seinem Zimmer schaltete er das Notebook ein und rief die
Seite mit den Unwettergefahren des DWD auf. Auf
der Übersichtskarte waren Dithmarschen, der Kreis Rendsburg-Eckernförde Küste,
Kreis Plön Küste und Kiel mit der Warnstufe Rot gekennzeichnet.
    Er klickte auf den Warnbereich Kiel. Starkgewitter, grobkörniger
Hagel, Böen bis hundertdreißig Stundenkilometer. Tornadogefahr. Für den Kreis
Plön das Gleiche. Zum Kreis Plön Küste gehörte das Ostufer der Kieler Förde mit
Laboe. Trügerischerweise hatte es in den letzten Stunden aufgeklart, der Himmel
war wolkenlos. Es war noch schwüler geworden.
    Lüthje klingelte bei den Feriengästen, die über ihm wohnten, und bat
sie, alle Fenster und Türen zu schließen und nicht nach draußen zu gehen, bevor
das angekündigte Unwetter abgezogen war. Sie sahen ihn ungläubig an und wollten
ihre Smartphones zurate ziehen.
    Lüthje holte sein Fernglas aus dem Dienstwagen und schaute auf die
Förde.
    Die Wasserschutzpolizei fuhr mit ihren Motor- und Schlauchbooten die
Segler und Sportboote an, die von den Wetterwarnungen noch nichts erfahren oder
sie nicht ernst genommen hatten, und informierte sie mit »Flüstertüten« über
das heranziehende Unwetter. Es waren immer einige dabei, die nicht auf ihr
Seefunkgerät geachtet oder es einfach nicht eingeschaltet hatten. Die
Wasserschutzpolizei konnte natürlich niemanden zwingen, einen sicheren Hafen
aufzusuchen.
    Im Fernglas sah Lüthje zwischen den Booten einen Blitz buchstäblich
aus heiterem Himmel ins Wasser einschlagen. Er kniff geblendet die Augen
zusammen.
    Die Wolkenwalze näherte sich. In Kiel war das Unwetter sicher schon
angekommen. Lüthje ging in sein Zimmer und schloss das Fenster.
    In diesem Moment schlug die erste Böe gegen das Fenster, der Sturm
presste die Luft pfeifend durch die Dichtungen. Er beobachtete, wie sich über
der Förde eine kegelförmige Auswölbung unter der dunkelgrauen Wolkenschicht
ausbildete, bis sie rotierend bis zur Wasseroberfläche reichte und eine Wolke
dichten Wassernebels mit sich führte. Der Tornado bewegte sich langsam, aber
stetig am Hafen vorbei und zog dann in Richtung Ehrenmal.
    Den Stromausfall bemerkte Lüthje erst, als er das Licht einschalten
wollte und auf das Notebook sah. Die Blitzfolge steigerte sich, und das Donnern
schwoll zu einem stetigen Geräusch an, als wenn ein Lastwagen eine Ladung von
Findlingen vor seinem Fenster entladen würde. Großkörniger Hagel klapperte und
prasselte an sein Fenster. Er sah Blätter und kleine Äste im Gewitter der
Blitze für Sekundenbruchteile an seinem Fenster kleben, bis sie von der
nächsten Böe weggerissen wurden.
    Lüthje glaubte, im Lärm ein hohles Heulen zu hören, als ob der Sturm
im Treppenhaus des Ehrenmals sämtliche Fensterscheiben herausgerissen hätte, um
sich dort nach Herzenslust auszutoben.
    Nach einer halben Stunde war der Spuk vorbei. Der Himmel riss
auf. Die Sonne schien wieder, aber die Luft war klar und kühl. Er fand ein paar
Dachziegel auf dem Rasen hinter dem Haus. Die Fensterscheiben waren alle heil
geblieben.
    Lüthje schwang sich aufs Fahrrad. Am Buerbarg musste er wieder
absteigen, weil die Straße von abgerissenen Ästen und Glassplittern bedeckt
war. Die Anwohner begannen, ihre Hauseingänge freizuräumen.
    Im Jachthafen hatten sich Boote ineinander verkeilt. Der
Seenotrettungskreuzer fuhr im Eiltempo aus dem Hafen. Auf der Strandpromenade
schwammen Laub, Äste und Glassplitter wie gequirlt in einer Schlammbrühe.
    Am schlimmsten aber hatte es die Gegend am Ehrenmal getroffen. Die
Strandbude an der Promenade war unterspült worden und zum Strand
hinuntergesackt. Unter den zerdrückten Strandkörben sah er auch seine Nummer
sieben. Der Strand war an dieser Stelle bis auf
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