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Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang
Autoren: Sinje Beck
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Grundschulzeit denken, ›Im Frühtau zu Berge wir ziehn fallera‹, Wandertag zum Großen Stein, einer bewachsenen Halde mit großen Brocken, die zum Klettern einlud. Später ging es dann gesanglich ein wenig internationaler weiter mit ›What shall we do with the drunken sailor‹ und wandertagsmäßig über die Grenze ins Sauerland zur Tropfsteinhöhle. Noch internationaler und politisch korrekter wurde es dann in der Realschule, gesanglich mit dem ›Hevenu shalom alejchem‹, die Wandertage wurden zu Busfahrtagen ins Phantasialand und der Geschichtsunterricht bestand beinahe ausschließlich aus der Zeit um 1945. Insgesamt eine wilde Mischung, die überschattet wurde von einem Testosteronüberschuss, der das Denken bisweilen stark blockierte, besonders in Französischarbeiten. Französisch war ein Fach, das ich sobald wie möglich abgewählt hatte. Die Französischlehrerin bestand darauf, jeden Schüler auch französisch anzusprechen. Versuchen Sie das mal mit Heiner: Einääär. Entsetzlich. Entsetzlich auch, dass mit zunehmendem Alter meinerseits die schlichte Morgenlatte von komplexen steifen Gehirnkrämpfen bezüglich der Vergangenheit verdrängt zu werden scheint. Sehr bedenklich.
    Das bringt mich zum eben Erlebten zurück. Wären nicht noch die Reifenspuren im Schlamm, würde ich daran zweifeln, ob die Episode nach meinem Erwachen tatsächlich stattgefunden hat und es sich nicht um eine durchgeknallte Fantasie aus den Tiefen meines Unterbewusstseins handelt. In letzterem Falle sollte das Unterbewusste schön unten bleiben. Doch auf dem Boden sind die Spuren, und der schrille Schrei klingt noch in meinen Ohren. Jetzt will ich auch wissen, was die Lady in Entsetzen versetzt hat. Einmal draußen, kann ich auch gleich nachsehen, was aus dem Alten geworden ist.
     
    Während das Kaffeewasser auf dem Campingkocher heiß wird, durchstöbere ich das Unterholz schräg hinter meinem Wagen. Irgendwo dorthin hat sie das Etwas geschleudert. Es scheint ein herrlicher Tag zu werden. Am Himmel grasen Schäfchenwolken, aus dem Wald riecht frisch das feuchte Moos und neben den Stockschwämmchen eines faulenden Baumstumpfs schimmert etwas, das nicht in einem Wald wächst: ein Gebiss im Gebüsch. Ich suche mir ein Stöckchen und angle das Ding hervor. Es handelt sich um eine obere Zahnreihe. Die Frau muss kurzsichtig gewesen sein, es für etwas anderes gehalten zu haben. Vielleicht dachte sie, es wäre ein Stück Perlenkette.
    Ich schiebe das Teil auf ein Ahornblatt und nehme es vorsichtig an mich. Wenn das mal nicht dem Alten gehört. Hoffentlich hat er den Verlust noch klaren Verstandes bemerkt. Ich überfliege den Platz vor meinem Wagen, wo die Frau das Teil gefunden hat, suche nach weiteren Spuren. Vom Gegenstück des Gebisses ist nichts zu sehen. Die Zähne lege ich auf den Stein, der meine Behausung am Wegrollen hindert und mache mich auf die Suche nach dem alten Mann.
     
    Auf dem Flecken, wo er gelegen hat, muss ein Wildschwein gewühlt haben. Davon zeugen ungleichmäßige Erdanhäufungen und Vertiefungen mit den Abdrücken eines Paarhufers. Hier hat er des Nachts, als ich austreten musste, schon nicht mehr gelegen. Erfolglos suche ich das Ufer nebst allen Bänken auf dieser Seite des Landeskroner Weihers ab. Dann durchstreife ich das Wiesengelände bis oben unter die Autobahnbrücke, ohne einen Hinweis auf den Verbleib des Alten zu entdecken. In der Nähe der Angler-Hütte ist auch keine Spur von ihm. Auf das Schlimmste gefasst, durchkämme ich selbst die Stelle des Weiherabflusses und dabei finde ich nicht einmal meine Decke. Der Mann ist weg. Ich durchsuche die von den Wildschweinen umgewälzte Erde etwas genauer und finde eines der Fotos aus seiner Brieftasche. Es ist das abgenutzte mit dem Frauenporträt. Ein hübsches Gesicht lächelt mich durch einen Schleier feuchter Erde schüchtern an.
    Ich fühle mich beunruhigt.
     
    Auf dem Weg zum Wagen kommen mir zwei ältere Herren in Anglerkluft entgegen. Nein, sie haben niemanden gesehen und wenn das mein Bauwagen wäre, der könne dort nicht stehen bleiben. Danke, sehr freundlich, denke ich und beschließe, in Ruhe einen Instant-Kaffee zu trinken und mich zunächst um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern.

7
    Die Anzeige bei der Siegener Zeitung in der kleinen Römer-Passage in Burbach ist schnell aufgegeben. Von dort aus ist es nicht weit zu Rudis Tankstelle. Ich muss ihn darüber informieren, dass ich eine seiner Telefonnummern angegeben habe, und ihn
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