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Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang
Autoren: Sinje Beck
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für beide Seiten, der Gattin wohl dosiert zuzuhören, dann fällt es leichter, bei der dritten Bemerkung über die Essgewohnheiten ihrer besten Freundin oder ihrer eigenen wachsenden Fetteinlagerungsrolle so zu tun, als wäre es eine interessante Neuigkeit. Mir unterlief leider, oder soll ich sagen zum Glück, ein grober Schnitzer. Am Ende stellte ich nur noch bei für mich bedeutungsvollen, ganz bestimmten Reizwörtern auf Empfang, eines davon hieß ›kaufen‹.
    Wie würde es dir heute gehen, wenn du Marie noch hättest? Ein leicht abzufangendes Konjunktivgeschoss: Ich würde mir die Welt erträglich saufen. Das habe ich seit Jahren nicht mehr nötig. Davon mal abgesehen, gehöre ich zu den Menschen, die Alkoholexzesse körperlich ganz schwer verkraften und am Katermorgen flüstern: Nie wieder Alkohol. Ich gestehe, mit dem damaligen Verhalten in meine eigene Wiederholungsfalle getappt zu sein. Das ist ja nun rum, nicht Rum, sondern rum. Noch mal rumdrehen, schön.
    Erstes Vogelgezwitscher umflattert meinen Wagen. In der warmen Koje ich, über dessen Haupt sich ganz sanft ein kleines, weiches Mützchen Schlaf legt.

6
    Plötzlich bin ich wach, mit einem Schlag. So, als hätte mich ein bestellter Weckruf erreicht. Der Wagen wackelt. Nicht stetig. Langsam und sacht zunächst und jetzt schneller und heftiger. Was geht denn hier ab? Horch, was kommt von draußen rein … Kann ja sein, dass der Wagen Wald- und Wegarbeiten stört. Wären dort Bauarbeiter, dann ginge die Werktätigkeit lauter vonstatten. Von draußen höre ich lediglich das Singen der Vögel, das Rauschen des Verkehrs auf der Autobahn, das heftige Schnaufen eines Mannes und das leisere Stöhnen einer Frau. Was? Sogleich will ich aus dem kippelnden Wagen stürzen und der Dame in Not aus der Bedrängnis helfen, doch halt, ruft ein Stimmchen aus der Versenkung. Heiner, denk nach: Wie oft hast du diese Art Gestöhn gehört und es hat sich dabei um Mord gehandelt? Okay, ich komm schon drauf, ist halt schon eine Weile her, muss ich zugeben. Je länger etwas vergangen ist, desto verschütteter sind die Verknüpfungswege der neuronalen Verbindungen im Gehirn, was bedeutet, dass die Erkenntnisse und das Wissen um etwas nicht spontan zugänglich sind. Mein kleines dafür zuständiges Areal im Kopf muss erst mal unter dem Plumeau hervorgeholt werden, bevor ich zweifelsfrei die Geräusche schwerer Atmung dem Kopulationsvorgang zuordnen kann.
    Wie erfreut wäre wohl das Gespann über dein Erscheinen? Vorausgesetzt, beide haben ihren Spaß, okay, aber was, wenn da doch jemand gegen seinen Willen … Eine letzte Eruption und ein ›Uff‹ beenden das Geschiebe am Bug meines Bauwagens. Ich kann mich nicht zurückhalten und werfe einen Blick durch den Spalt zwischen den Schlagläden. Die zwei sind relativ nah und mir ist, als röche ich heiß gewordenes Gummi. Jetzt sehe ich, wie die zweifellos jungen, weiblichen, pfirsichrunden Hinterbacken einen String verschlingen, die Frau, sich aufrichtend, ihr kurzes Röckchen zurechtzupft und der Herr sein weißes Hemd in die Hose stopft, wobei mir die glänzende, fette Boss-Gürtelschnalle ins Auge springt. Er wendet sich ab und geht zum Siebener, sie folgt mit Abstand, bückt sich nach etwas, greift es, begreift es und wirft es, spitz schreiend, ins nächste Gebüsch. Der Mann dreht sich irritiert zu ihr um und sie (irgendwie auch mich) trifft ein verständnisloser, beinahe wütender Blick. Aha, hier besteht ein Machtgefälle, wahrscheinlich ein Abhängigkeitsverhältnis. Er kann es sich leisten, sie so missbilligend anzusehen. Er ist sich ihrer sicher, glaubt er. Sie stellt sofort ihren schrillen Ton ab und geht ohne ein Wort, aufrecht, wiegenden Ganges, an ihm vorbei. Na, vielleicht war das die letzte Besprechung dieser Art für ihn. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, weiß nicht, ob ihre Augen sich für einen Sekundenbruchteil zu Schlitzen verengt haben, dafür höre ich jetzt die Türen des BMWs schlagen. Ihre knallt einen Tick intensiver zu. Er gibt hart Gas, lässt den Dreck hinten wegspritzen, und im Nu hat der Wald zu beiden Seiten des Weges sie verschluckt.
    Jetzt habe ich mir das Kennzeichen nicht gemerkt außer dem SI für den Kreis Siegen-Wittgenstein. Ob ich den Standplatz wechseln sollte, obwohl ich erst einen Tag quasi im Urlaub bin? Das ist das Schöne an einem Mobilheim: Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort … Seit ich im Wald bin, fallen mir nur noch Mundorgel-Lieder ein. Ich muss an meine
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