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Totenklang

Totenklang

Titel: Totenklang
Autoren: Sinje Beck
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Wolke der Wichtigtuerei vorbei zum Heck des Wagens. Dass sein Reifenmesser nicht die geeignete Waffe ist, mir am Profil zu kratzen, merkt er schnell. Die breiten Schlappen sind zugelassen und runderneuert. Auf dem Weg zum Kofferraum wird unser kleines Theater-Stück vom Knacken des Funkgerätes und dem anschließenden Ruf seines Kollegen unterbrochen. Ein Einsatz. Sie müssen los, sofort, fügt der Kollege an. Wortlos erhalte ich meine Papiere zurück und schneller als ich dachte, sitzt der Mümmel wieder im Auto, legt einen Kavalierstart hin, wendet scharf und braust entgegen meiner Fahrtrichtung davon. Die Licht- und Soundanlage schalten sie nicht an.

8
    »Was machst denn du hier? Kannst ohne uns nicht mehr sein, was?«, foppt mich Susanne, die sich mit einer Getränkelieferung abschleppt.
    »Richtig. Das beruht doch sicherlich auf Gegenseitigkeit«, kontere ich, nehme gleich vier volle Bierkisten von der Palette und trage sie lächelnd hinter ihr her in den Shop.
    »Hat man denn niemals Ruhe vor dir? Heute gibt’s nix«, stöhnt Rudi geduckt hinter der Kasse hervor und schaltet den Polizeifunk wieder an.
    Kurz und knapp berichte ich von der Anzeige, die am kommenden Mittwoch mit der Tankstellen-Telefonnummer erscheinen wird und bitte darum, ankommende Anrufe zu notieren.
    »Wir sind doch nicht dein Sekretariat«, grummelt Rudi abwesend, da er den größten Teil seiner Aufmerksamkeit den abgehackten Einsatzkommandos schenkt.
    »Klar, wir notieren das schon für dich. Kannst dich drauf verlassen«, bestätigt Susanne freundlich lächelnd, wobei sie mir mit einem Seitenblick auf Rudi deutlich macht: Kennst ihn ja. Und ob ich ihn kenne. Solange Rudi mit einem motzt, solange ist ja alles im Lot. Schön, dass ich auf die beiden zählen kann.
    Nachdem wir die letzten Getränkekisten im Vorratsraum verstaut haben, packt Susanne mich am Ärmel und zieht mich verschwörerisch hinter sich her aufs Klo. Mir wird ein wenig mulmig. Bisher haben wir keine Handgreiflichkeiten ausgetauscht, obwohl Susannes Attraktivität Unruhezustände der Hände verursachen kann. Besonders, wenn sie so natürlich nachlässig mit dem Verschluss ihres Hemdes umgeht. Doch ich würde niemals, auch wenn mir die Vorstellung daran vergnügliche Schauer durch die Nervenbahnen bis in die Muskeln jagt, niemals würde ich in der Frau eines Freundes meinen genetischen Fingerabdruck hinterlassen. Nie? Fragt mein kleiner Testosteronteufel, der schon so lange freudlos vor sich hin darbt. Nein. Es sei denn, die Frau bestünde darauf. Wer will denn da zuwiderhandeln? Wir! Kontern versprengte Gewissenseinheiten durch die aufrührerischen Samensalven. Okay, okay, beende ich den inneren Gedankenreigen, da es zu nichts führt.
    »Warte hier. Bin gleich zurück.« Oh, ja. Das klingt wunderbar verheißungsvoll. Gut, dass ich weiß, wie ich mich als Gentleman zu verhalten habe, sollte die befreundete Dame entgleisen. Weiß ich das? Ja, sage ich mir und schöpfe tief Atem. Hände waschen, Mund ausspülen, Kleider und Haare ordnen. Das hätte ich sowieso getan, wenn ich schon mal am Waschbecken stehe. Mir ist nach einem Kaugummi. Suchend klopfe ich meine Taschen ab und finde keinen. Die Tür geht nur einen Spalt breit auf, Susanne huscht hinein und mit einer schnellen Bewegung hat sie uns eingeschlossen.
    »Jetzt bist du reif!«, droht sie mir schelmisch und zieht hinter ihrem Rücken ein bedrohliches Werkzeug hervor mit zwei scharfen, spitzen Klingen. Eine Haarschneideschere.
    »Guck nicht so«, sagt sie und muss prustend lachen, »mit deinem Zammelzopf kannst du keinem zukünftigen Arbeitgeber imponieren. Sind ja nicht alle so tolerant wie wir.« Jetzt wird sie ernst. Ich muss sie ziemlich geschockt und konsterniert zugleich angesehen haben. Ihre Heiterkeit ist gewichen und hat einem Ausdruck dieser Sorte diffusem Schuldgefühl Platz gemacht, das beim Gegenüber den Zwang auslöst, sich entschuldigen zu müssen, ohne dass man weiß, wofür genau. Dass sie so schaut, wollte ich nicht. Sie soll sich nicht schlecht fühlen.
    »Entschuldigung«, nuschelt sie zuerst kleinlaut statt meiner, und ich beeile mich zu sagen, dass ihre Idee nicht die schlechteste sei, sie ganz recht habe und ich mich freuen würde, wenn sie die Fransen abschneidet. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Was habe ich da eben gesagt?
    »Na, dann dreh dich um. Hier, kämm mal selbst durch. Ich will dir ja nicht wehtun«, voller Aktionismus hat sie mir das Haargummi schon abgezogen, reicht mir einen
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